Die Nächte der Aphrodite
hatte, verließ er die Gruppe und kam ihr entgegen. Mit einer theatralischen Verbeugung zog er ihre Hand an seine Lippen. »Ein wirklicher Genuss, Euch hier zu haben, Mademoiselle Callière. Ich hoffe, Ihr seid hungrig, denn wir wollen uns gleich zu Tisch begeben.«
»Ich freue mich, hier sein zu dürfen, Euer Gnaden«, gab sie zurück und lächelte. Der Herzog legte ihre Hand auf seinen Arm und schritt mit ihr durch den Saal. Irgendwo im Hintergrund hörte sie einen Gong, der die Unterhaltung der Anwesenden unterbrach. Sie fanden sich in Paaren zusammen, die dem Herzog in das Speisezimmer folgten. Jetzt trug er einen silberdurchwirkten Justaucorps mit weißen Pantalons. Die wallenden braunen Locken waren durch eine gepuderte Perücke ersetzt worden, deren Haar eine schwarze Samtschleife im Nacken zusammenhielt. Sein Gesicht war noch dramatischer geschminkt als zuvor. Er stellte ein erlesenes Gesamtkunstwerk dar, das sich mit jedem der kostbaren Bilder und Statuen in diesem Palast messen konnte.
Nachdem alle an der Tafel Platz genommen hatten und die Gläser mit Wein gefüllt worden waren, stand der Herzog auf und hob sein Glas. »Auf meinen Ehrengast, die bezaubernde Mademoiselle Callière. Sie wird ein Weilchen auf Belletoile bleiben, und es liegt an euch, verehrte Anwesende, ihr eine schöne Zeit zu bereiten.«
Die Gläser wurden erhoben und beifälliges Gemurmel breitete sich aus. Elaine errötete. Zwar hatte der Herzog, der am Kopf der Tafel saß, sie zu seiner Linken platziert, und die Gäste sahen nur ihre unversehrte Gesichtshälfte, aber dennoch war es für sie völlig neu und ungewohnt, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen.
Sie nickte mit einem kleinen Lächeln in die Runde und wiederholte: »Ich freue mich, hier sein zu dürfen.«
Der Herzog und ihr Tischnachbar, ein gut aussehender Mann Anfang dreißig, der sich ihr als Comte de Syra vorstellte, kümmerten sich während des Diners aufmerksam um sie, trotzdem behielt Elaine keine Erinnerung daran, was sie eigentlich gegessen hatte.
Als der Herzog die Tafel aufhob, schlenderten die Anwesenden wieder in den Ballsaal zurück. Der Herzog und der Comte blieben an ihrer Seite und machten sie mit den anderen Gästen bekannt. An die dreißig Namen und Gesichter schwirrten an Elaine vorbei. Sie bemühte sich, zu allen freundlich zu sein und gleichzeitig alles zu behalten. Deshalb fiel ihr nicht auf, dass sich eine unerklärliche Spannung im Raum ausbreitete. Erst, als von der Eingangstür des Saales ein lautes Klopfen ertönte und alle sich umdrehten, wurde ihr bewusst, dass etwas Besonderes vorging.
Zwischen den Flügeln der Tür stand eine völlig in Schwarz gekleidete Gestalt. Eine Frau, wie die eng anliegende Hose und die knappe Jacke deutlich machten. In der behandschuhten Rechten hielt sie einen silbernen Stab, mit dem sie auf den Boden geklopft hatte.
»Das Spiel beginnt.« Die Stimme war kühl und klar und brachte die Anwesenden zum Schweigen. Sobald auch die letzte Unterhaltung erstorben war, schritt die Frau durch den Saal. Das Licht der Kerzen ließ in ihrem straff zurückgekämmten schwarzen Haar blaue Funken tanzen. Der blasse Teint ihres Gesichts hatte keine Schminke nötig. In der angespannten Stille verursachten ihre glänzenden Schnürstiefel ein schnelles Stakkato auf dem Parkett.
Elaine sah den Herzog hilfesuchend an, aber er machte nur eine Handbewegung, die bedeuten sollte, dass er ihre Fragen später beantworten würde. Also fuhr Elaine fort, die Frau zu beobachten. Sie blieb neben einem großen runden Tisch stehen und stieß den silbernen Stab wieder auf den Boden. Zweimal.
Alle Blicke richteten sich auf die Eingangstür des Ballsaals. Sechs livrierte Diener trugen eine riesige ovale Platte über ihren Köpfen. Elaine konnte nicht sehen, was sich darauf befand, aber dessen ungeachtet beschleunigte sich ihr Herzschlag, und sie spürte zum ersten Mal die greifbar im Raum stehende Spannung. Zweifellos handelte es sich um den Höhepunkt des Abends, der von allen atemlos erwartet wurde.
Die Diener schritten feierlich an den Gästen vorbei und blieben vor dem Tisch stehen. Offensichtlich erwarteten sie ein weiteres Kommando. Die schwarzgekleidete Frau nickte und im gleichen Augenblick ließen die Männer die Platte in einer fließenden Bewegung auf den Tisch sinken.
»Das Dessert des heutigen Abends«, sagte die Frau in Schwarz.
Elaine brauchte ein paar Sekunden, um zu erkennen, dass auf der kunstvoll gestalteten Platte unter
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