Die Nächte der Aphrodite
aus.
Das Gesicht stellte den nächsten Schock dar. Es war nackt. Ungeschminkt. Und besaß keinerlei Ähnlichkeit mit der bizarren Maske, die sie so gut kannte. Die klaren Konturen mit dem ausgeprägten Kinn und der hohen Stirn verrieten Intelligenz, die vollen Lippen den Hang zu Genuss und die Fältchen in seinen Augenwinkeln den Sinn für Humor. Es könnte ebenso das Gesicht eines Staatsmannes sein wie das eines Dichters. Aber es war ganz ohne Zweifel das Gesicht des Herzogs von Mariasse.
Elaine räusperte sich. »Entschuldigt, Euer Gnaden, aber ich wusste nicht ...«, sie brach ab.
»Es scheint, als entsetzte Euch die Tatsache meiner gärtnerischen Beschäftigung mehr als die Orgie gestern Abend«, entgegnete er ernst, aber seine Augen funkelten vor Vergnügen.
Elaine errötete. Sie wusste keine Antwort auf seine Worte.
»Macht Euch nichts daraus, ich liebe es, Menschen zu verblüffen. Und heute ist mir das wieder einmal gelungen.« Er drückte die Erde rund um eine Pflanze fest und schob den Topf dann zur Seite. »Ich habe die gesamte Gartenanlage von Belletoile neu entworfen und mit Hilfe von Architekten und Gärtnern zu dem gemacht, was es heute ist. Daran arbeite ich seit fast zwanzig Jahren«, fügte er voller Stolz hinzu.
Elaine, die noch immer damit kämpfte, den neuen Herzog mit dem alten in Einklang zu bringen, bemühte sich um Aufmerksamkeit. Aber immer wieder glitten ihre Gedanken ab. Er sah so verändert aus. Viel jünger. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie ihn auf über fünfzig geschätzt, jetzt revidierte sie ihr Urteil. Ohne Schminke war er höchstens Anfang vierzig. Unter der kaum behaarten Haut der Unterarme zeichneten sich straffe Muskeln ab.
»... habe ich extra für meinen Besuch beim König gezogen. Sie soll Versailles heißen. Goldene Blüten mit einem roten Herzen, das sollte die Glorie unseres Herrschers unterstreichen.«
Er zeigte auf einige große Terrakottatöpfe, in denen Rosenstöcke standen. Blüten waren noch keine zu sehen, nur einige kleine Knospen.
»Ihr werdet nach Versailles reisen?«, fragte sie interessiert.
»Ja, in ein oder zwei Monaten. Dem König beliebt es, mich jedes Jahr zu sehen«, entgegnete er mit deutlichem Zynismus. »Und bei dieser Gelegenheit versuche ich ihn mit edlen Gaben milde zu stimmen.«
Elaine runzelte die Stirn. »Ist das nötig?«
»Bedauerlicherweise ja. Ich habe nicht nur Freunde.« Er schwieg. »Manchmal kommt es mir vor, dass die Anzahl meiner Feinde schneller steigt als das Meer bei Flut. Belletoile ist im ganzen Land berühmt, und der König ist empfänglich für Gerüchte. Alles, was seine Autorität untergraben könnte, erweckt sein Misstrauen.« Er schüttelte den Kopf und zog die Mundwinkel nach unten. »Als würde ich mich für Politik interessieren. Das Einzige, was ich will, ist, mein Leben genießen.«
»Damit scheint Ihr sehr erfolgreich zu sein, Euer Gnaden«, erwiderte Elaine und hoffte, nichts Ungebührliches gesagt zu haben.
Er zuckte mit den Schultern. »Dank meiner Vorfahren besitze ich mehr Geld, als ich in diesem Leben ausgeben kann. Die Hütten der Pächter sind in besserem Zustand als allgemein üblich. Keiner leidet Hunger. Keiner friert, auch wenn der Winter einmal streng sein sollte. Darauf achte ich, denn das sehe ich als meine Pflicht an. Warum soll ich mich also nicht nach meinem Gutdünken amüsieren?« Er wartete nicht auf ihre Antwort, sondern fuhr fort: »Und wie habt Ihr Euch gestern Abend amüsiert?«
Sie zupfte an den Ärmeln ihres Kleides herum. »Ich war überrascht.«
Er hob die Brauen und lehnte sich an die Arbeitsfläche. »Nur überrascht? Nicht erregt oder zumindest animiert?«
Elaine überlegte. »Fasziniert«, sagte sie schließlich. Wenn sie ihre trübseligen Erinnerungen an Troy ausklammerte, dann blieb dieses Gefühl übrig.
»Fasziniert? Wovon? Von der menschlichen Natur?« Milder Spott mischte sich in seine Worte.
»Von Béatrice.« Sie sah den Herzog an. »Wie sie Macht ohne Worte gebrauchte, wie sie mit bloßen Gesten die Nacht der Aphrodite dirigierte und zu einem Erfolg machte.«
»Ach ja, Béatrice.« Der Herzog seufzte. »Sie ist wirklich ein Gewinn. Umso mehr schmerzt es mich, dass sie Belletoile bald verlassen wird. Sie geht mit dem Marquis de Sevelles nach Auxerre. Zwei Jahre lang war sie die Zeremonienmeisterin meiner aphrodisischen Nächte, aber in Sevelles hat sie endlich einen Mann gefunden, der ihre ganz speziellen Bedürfnisse befriedigen kann.«
Obwohl Elaine ihn
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