Die Nächte der Aphrodite
Maß des Erträglichen überschritt. Für ihn war der Weg das Ziel, für Jérôme war nur das Ziel selbst das Ziel.
Andre legte einen Arm um Jérôme s Taille, damit er ihn enger an sich pressen konnte und leckte seinen Nacken. Die andere Hand hatte er um Jérôme s Glied geschlossen. Die hervortretenden Muskeln an seinem Unterarm verrieten, dass er auch hier nicht zimperlich vorging.
Henris Gleichgültigkeit ging in Widerwillen über. Er hatte genug für diesen Abend. Schon wollte er aufstehen, da entdeckte er Vincent, der ihn offenbar schon die ganze Zeit beobachtet hatte.
Er lehnte an der gegenüberliegenden Wand. Die Hände hatte er in die Taschen des offenstehenden Justaucorps vergraben, der einen Blick auf das weiße Spitzenhemd gewährte. Aus dem messingfarbenen, im Schein der Kerzen glänzenden Haar hatten sich einige Strähnen gelöst, die ihm ins Gesicht fielen. Er sah unglaublich jung und unglaublich hilflos aus. Der Blick allerdings, mit dem er Henri ansah, besaß nichts Kindliches und nichts Hilfloses. Er war kühl und berechnend.
Wieder überflutete Henri dieses seltsame, namenlose Gefühl, das seine Nackenhaare dazu brachte, sich aufzurichten. Er musste herausfinden, was es damit auf sich hatte. Was mit Vincent nicht stimmte. Aber nicht heute, dafür war in den nächsten Tagen Zeit genug.
»Jérôme schenkt seine Gunst jetzt also André Duprêtre. Ziehst du deshalb eine Miene wie zehn Tage Regenwetter, mon cher?« Der Comte d'Aubigny hatte sich hinter Henri gesetzt und flüsterte ihm ins Ohr. »Ich hätte nichts dagegen, dich ein wenig aufzuheitern. Was hältst du davon?«
Henri wandte den Kopf und blickte in Gérards dunkle Augen, die einladend glänzten. Um seine Worte zu unterstreichen, fuhr er langsam mit der Zunge über seine sinnlich geschwungene Oberlippe.
»Wenn ich sicher sein könnte, dass du mich willst und nicht den superben Cognac in meinem Nachtkästchen, würde ich dein Angebot in Erwägung ziehen.«
Gérard lachte. »Ich schätze deinen Cognac, aber ich schätze dich noch mehr, und das weißt du auch. Falls du es dir anders überlegst, dann lass es mich wissen.« Er legte ihm die Hand auf die Schulter, ehe er sich zum Buffet wandte.
Henri sah ihm nach und erwog kurz, ihn zurückzurufen. D'Aubigny war ein guter Liebhaber und neigte nicht zu unerwünschter Anhänglichkeit. Trotzdem wollte er die heutige Nacht lieber alleine verbringen. Er brauchte etwas Abstand.
Henri stand auf und schlenderte den Mittelgang entlang. Kurz bevor er den freien Platz vor der Bühne erreichte, verfing sich der Absatz seines hochhackigen Schuhs in einem herumliegenden Spitzendessous, und er musste stehen bleiben, um sich davon zu befreien.
Im gleichen Augenblick krachte der Kristallleuchter vor ihm auf das Parkett. Die Gäste schrien auf, zwei Diener rannten herbei, um die Kerzen mit einem Tuch zu ersticken, ehe sie einen Brand verursachen konnten.
Ohne auf das Geschrei um sich herum zu achten, starrte Henri auf den glitzernden Scherbenhaufen und sein Mund wurde trocken. Zwei Schritte weiter und er läge unter dem schweren Kristallglas. Er sah zuerst nach oben, dann an die Wand, wo der Flaschenzug befestigt war, mit dem der Leuchter heruntergelassen werden konnte, um ihn mit frischen Kerzen zu bestücken. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Vincent genau an dieser Stelle gestanden hatte. Aber nun war der Platz leer und Vincent nirgends zu entdecken.
Und Henri glaubte nicht daran, dass das ein Zufall war.
Am nächsten Morgen erwachte Elaine mit bohrenden Kopfschmerzen. Langsam kam die Erinnerung zurück, und sie zog sich stöhnend das Kissen über den Kopf.
Der Abend hatte nicht nur für sie in einem Desaster geendet. Nachdem der herabstürzende Leuchter den Herzog um ein Haar erschlagen hatte, wollte keine Stimmung mehr aufkommen. Die Gäste zogen sich auf ihre Zimmer zurück, und sie hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, mit Béatrice zu sprechen.
Die bekam sie erst am frühen Nachmittag, als sie wieder gemeinsam durch den Park spazierten. »Wie hat Euch die gestrige Darbietung gefallen?«, erkundigte sich Béatrice. »Habt Ihr Fragen?«
Elaine räusperte sich. »Ganz ohne Zweifel habt Ihr den Gästen wieder ein wirkungsvolles Spektakel geboten. Leider hat es ja ein anderes Ende genommen als erwartet. Fragen ... nun, mir ist nicht klar ... Ihr habt zwar die Nebenräume des Theaters geöffnet, aber wonach Ihr die Auswahl derer getroffen habt, die sich darin vergnügen durften, das konnte ich
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