Die Nächte der Aphrodite
sie ihre Auswahl traf, konnte Elaine nicht nachvollziehen. Das Geschehen rund um sie herum brodelte hoch. Unwillkürlich fragte sie sich, wie Béatrice die Oberhand behielt. Wie sie es anstellte, dass man tat, was sie wollte, ohne dass sie es überhaupt laut aussprach.
Sie schloss die Augen und lehnte sich an die Wand. Ihre Zuversicht schmolz wie Schnee unter den ersten Strahlen der Frühjahrssonne. Wie war sie nur jemals auf die Idee gekommen, als Zeremonienmeistern Béatrices Stelle einnehmen zu können?
18
Henri nippte an seinem Champagnerglas. Odysseus und die Sirenen waren zwar weniger spektakulär gewesen als das lebende Dessert, aber Béatrice hatte die Sache wie gewohnt souverän inszeniert. Außerdem dienten die abendlichen Attraktionen ja vornehmlich dazu, die Gäste zu animieren, selbst zur Tat zu schreiten. Und dieses Ziel war auch diese Nacht mühelos erreicht worden.
Er ließ seinen Blick durch den Saal schweifen, während er seinen linken Arm auf die Rückenlehne des benachbarten Stuhls legte. Wie immer saß er etwas abseits und keiner näherte sich ihm, ebenfalls ein ungeschriebenes Gesetz, das ihn davon enthob, ein Anstecktüchlein zu benutzen.
In seinem Blickfeld, zu nahe, um es dem Zufall zuzuschreiben, widmete sich Jérôme eifrig der Erkundung von Andre Duprêtres Lippen. Damit nicht genug, massierten seine geschickten Finger durch den Stoff der Hose hindurch Andres Erektion.
Während er zusah, wünschte Henri, er würde etwas anderes empfinden als Gleichgültigkeit. Aber dieser Wunsch war und blieb vergebens. Der einzige Mensch, dem er wirklich Gefühle entgegenbrachte, war seine Schwester Ghislaine. Seine Liebe zu ihr war rein und unverdorben und wuchs mit den Jahren. Er hätte alles getan, um sie glücklich zu sehen. Doch der Abschaum, der ihn gezeugt hatte und der den Namen Vater zu einem Fluch werden ließ, hatte sie mit einem Schwachsinnigen verheiratet. Keiner seiner brüderlichen Einwände und keine Drohung hatten etwas daran geändert. Die Ohnmacht, mit der er die Hochzeitszeremonie miterleben musste, die das Schicksal seiner schönen, klugen Schwester besiegelte, ließ noch heute eine Ader an seiner Stirn schwellen.
Zu Beginn hatte er sie verzweifelt angefleht, ihn alles Nötige in die Wege leiten zu lassen, um den Kretin unauffällig ins Jenseits zu befördern. Aber sie hatte abgelehnt. Ihr Glück auf dem Tod oder auch nur dem Unglück eines anderen aufzubauen erschien ihr unerträglich. In ihren Augen war der Comte ein hilfloses Kind, das außer ihr niemanden mehr hatte. Sie sah es als ihre Pflicht an, ihn vor dem Bösen zu beschützen, das die Welt für ein Geschöpf wie ihn bereithielt.
Dafür stieg sie noch mehr in seiner Achtung, und er respektierte ihren Wunsch schließlich zähneknirschend. Mit Tris hatte sie eine kurze, glückliche Zeit erleben dürfen, aber das Schicksal nahm ihr auch diese Freude. Dass sie sich aus lauter Verzweiflung an Troy gehängt hatte, erschien ihm allerdings auch unter diesem Blickwinkel schwer verständlich und drückte ihren Seelenzustand besser aus, als Worte es je vermocht hätten.
Seine Finger krampften sich um die geschnitzte Rückenlehne. Aber sie hatte etwas Besseres verdient. Sie hatte Glück und Lachen verdient, Liebe und Kinder - alles, was so selbstverständlich war für jene, denen es einfach in den Schoß fiel. Doch für Ghislaine blieb es nichts als ein unerreichbarer Traum.
Jérôme und Andre hatten sich während ihrer leidenschaftlichen Küsse des Großteils ihrer Kleidung entledigt. Sie rieben ihre nackten Leiber aneinander, die harten Ruten zuckten ungeduldig. Jérôme löste sich aus der Umarmung und drehte sich langsam um. Dabei sah er Henri mit einem langen, provozierenden Blick an, ehe er die Hände auf der Lehne des Sessels vor sich abstützte und sich Andre anbot. Der zögerte nicht, sondern stieß ohne weitere Umstände zwischen die beiden Hinterbacken, die sich ihm so verlockend entgegenbogen. Jérôme s Kopf flog in den Nacken und sein Mund öffnete sich.
Henri trank das Glas leer. Jérôme mochte es hart. Für die Tiegel voller duftender Salben in seinem Schlafzimmer hatte er nie besonders viel übrig gehabt, ebenso wenig wie für ausgedehnte Vorspiele. Auch das war ein Grund gewesen, warum ihre Beziehung keine Zukunft gehabt hatte. Im Gegensatz zu Jérôme inszenierte er eine Verführung gerne bis ins kleinste Detail und bevorzugte es, die gemeinsame Lust langsam zu steigern, so lange, bis sie das
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