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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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rauchgeschwängert.
    »Es handelt sich um einen reinen Routinebesuch«, begann Gerald, nachdem er sich auf ihre Einladung hin auf das Sofa gesetzt hatte. »Es geht um Herrn Faden. Herr Müllersohn erwähnte, dass Sie näheren Kontakt zu ihm hatten?«
    »Ja … ja«, sagte sie. Ihre Stimme klang unwillig und desinteressiert. »Er hat manchmal auf meine Tochter aufgepasst, wenn ich abends weg war.«
    »Wie alt ist Ihre Tochter?«
    »Neun. Bald zehn.«
    »Wann haben Sie Herrn Faden kennengelernt?«
    »Wir sind vor zwei Jahren hier eingezogen. Das mit Alexander ergab sich dann einfach.«
    »Können Sie mir Herrn Faden etwas beschreiben?«
    »Ja … ja«, begann sie wieder, und es klang wie automatisiert, so, als hätte sie nicht richtig verstanden oder als erwartete sie, dass er noch etwas ergänzen wollte. »Still war er. Sehr ruhig. Konnte ganz toll zeichnen. Meine Tochter war verrückt nach ihm, weil er mit ihr gemalt hat. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ich jeden Abend ausgehen müssen. Alexander war brav, fast schüchtern. Hat nicht geraucht, nicht getrunken. Sehr zuverlässig. Gar nicht so, wie man von Studenten denkt.«
    »Hatte er einen Freundeskreis? Eine Freundin?«
    Sie stand auf, ging zum Computer und nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel, die vor dem Bildschirm lag. Jetzt registrierte Gerald auch die Webcam, ein großes, einäugiges Insekt, das vor der Tastatur hockte. Als Frau Kattowitz sich wieder setzte, achtete sie darauf, dass sich der Bademantel nicht öffnete. Gerald vermutete, dass sie darunter nur wenig oder auch weniger als wenig trug.
    »Manchmal waren welche da, aber nicht so zum Feiern. Ich glaube, die haben zusammen etwas für die Uni gemacht. Ich kenne mich da nicht so aus. Und Frauen? Ja, in letzter Zeit war an den Wochenenden schon mal eine junge Frau da. Die haben die Wohnung dann nicht verlassen, auch an den Abenden nicht. Mehr weiß ich nicht. Erzählt hat er davon aber nie etwas.«
    »Hat dieser Unfall am Arm ihn verändert?«
    »Es war kein Unfall.« Entgegen ihrer langsamen, fast trägen Sprechweise kam diese Antwort blitzschnell. Sie schien sie auch sofort zu bereuen, denn sie drehte den Kopf zum Fenster, strich mit der Hand nervös durch ihre Haare und nahm einen tiefen Zug von der Zigarette.
    »Habe ich Sie richtig verstanden? Es war kein Unfall?«
    »Ja … ja.« Und wieder fiel sie in diese Unart. Es klang so, als wollte sie nicht selbst sprechen, sondern dem Gegenüber signalisieren, dass er weiterreden solle.
    »Was war es denn?«
    »Das war nur die offizielle Erklärung für die, die ihn gefragt haben. So hat er es auch meiner Tochter erzählt. Mir hingegen hat er angedeutet, dass es kein Unfall war. Mehr hat er allerdings dazu nicht gesagt. Der Alexander war eben sehr verschlossen. Aber das wissen Sie ja bereits, nicht wahr?«
    Den letzten Satz hatte sie mit einer gewissen Patzigkeit unterlegt. Gerald war sich sicher, dass sie mehr wusste. Sie drückte die Zigarette aus und schaute unruhig zum Computer.
    »Halte ich Sie von etwas ab, Frau Kattowitz?«
    »Nicht direkt. Ich meine, ich arbeite am Computer. Banküberweisungen erledigen und so. Ich versuche, so viel wie möglich zu schaffen, während meine Tochter in der Schule ist. Verständlich, oder?«
    Gerald sah erneut zum PC-Tisch, auf dem sich weder Aktenordner noch Stifte noch Papiere befanden.
    »Leben Sie alleine mit Ihrer Tochter?«
    »Mein Freund ist oft hier. Das heißt, er ist eigentlich noch verheiratet und ist manchmal noch bei seiner Frau und den Kindern. Ich glaube aber nicht, dass Sie das etwas angeht.«
    »Sicher nicht, nein. Hatte Alexander Faden vielleicht eine Erkrankung, über die er nicht sprechen wollte?«
    Sie schüttelte den Kopf und wollte schon antworten, als sie sich daran erinnerte, was sie vor wenigen Minuten gesagt hatte. So verharrte sie einen Moment reglos und hob dann leicht die Schultern. Gerald konnte erkennen, dass sie keinen Büstenhalter trug.
    »Hat die Amputation ihn depressiv gemacht? Das wäre doch anzunehmen, immerhin hat er Grafikdesign studiert. Ich bin kein Fachmann, aber es ist doch allgemein bekannt, dass Grafiker heutzutage fast ausschließlich mit Computerprogrammen arbeiten. Mit nur einer Hand ist man doch stark gehandicapt.«
    »Ja … ja«, sagte sie wieder in dieser einschläfernden Trägheit. Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort. »Aber es war nicht so. Es war ganz anders. Der Alexander war danach irgendwie offener. Aber wie gesagt …«
    »Hätten Sie sich

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