Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
Vom Netzwerk:
den einzelnen Abteilungen über die laufenden Vorgänge informieren ließ und sich sein eigener Beitrag auf ein automatisiertes Kopfnicken beschränkte, manchmal mit geschlossenen Augen. An solchen Tagen war der Polizeipräsident meistens übermüdet oder hatte Magenschmerzen (weil er zu viel und dabei noch zu viel Ungesundes aß) oder war mit dem Kopf bereits bei einem wichtigen Termin, der noch auf ihn wartete.
    In Geralds und Batzkos Zuständigkeit fiel eine Sonntagsprügelei zwischen zwei Männern in einer Kneipe in der Mozartstraße, Ecke Barbararing. Die beiden Beteiligten lagen mit erheblichen Verletzungen im Krankenhaus.
    »Ich fahre am Vormittag raus«, sagte Batzko, der sich in Gegenwart des Chefs gerne aktiv zeigte. »Wahrscheinlich waren die im Krankenhaus wieder so schlau und haben die Streithähne in dasselbe Zimmer gelegt, damit sie gleich weitermachen können.«
    Dr. Vordermayer nickte geistesabwesend.
    Gerald war ebenfalls nicht ganz bei der Sache. Er konnte das Ende der Besprechung kaum abwarten, um im internen Netzwerk den Bericht über den Fall Alexander Faden zu suchen. Die Kollegen von der Streife, die vor Ort gewesen waren, mussten zumindest das obligatorische Aktenzeichen vergeben und eine Schilderung des Geschehens formuliert haben.
    Das hatten sie tatsächlich, wie Gerald wenige Minuten später in seinem Büro feststellen konnte. Aber die knappen, formelhaften Sätze untermauerten die Suizid-Hypothese. Die Kollegen von der Spurensicherung hatten ihren Bericht noch nicht eingefügt. Das konnte verschiedene Gründe haben: Überlastung, Abwesenheit der Beteiligten wegen Urlaub oder Überstundenausgleich oder schlichtes Desinteresse. Nur wusste Gerald aus eigener Erfahrung, dass ein Bericht umso kürzer und nichtssagender wurde, je länger man ihn vor sich herschob.
    Batzko verabschiedete sich gegen halb zehn ins Krankenhaus. Kurz darauf ließ Gerald sich von zwei Kollegen, die nach Sendling fuhren, in der Lindwurmstraße absetzen.
    Die Haustür war nur angelehnt. Gerald nahm die Treppe absichtlich im Laufschritt und überzeugte sich davon, dass die Hausrenovierung offenbar für eine gründliche Geräuschdämmung gesorgt hatte. Kein Knirschen, kein Knarren. Ein möglicher Täter hätte also das Haus schnell verlassen können, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
    Gerald klingelte und hatte, wie am vorigen Tag, den Eindruck, dass in der Wohnung eine Tür leise geschlossen wurde. Er klingelte ein zweites, dann ein drittes Mal. Im Gegensatz zum Vortag blieb er jedoch einfach stehen. Als er zum vierten Mal klingelte, wurde die Tür vorsichtig einen Spalt geöffnet.
    »Frau Kattowitz?« Gerald zeigte seinen Dienstausweis. »Es tut mir leid, wenn ich Sie stören sollte, aber ich müsste dringend mit Ihnen sprechen.«
    »Jetzt?« Sie wischte sich die langen schwarzen Haare aus der Stirn. Gerald konnte trotzdem nur die Hälfte ihres Gesichts sehen. Ein graues Auge, das ihn müde und unwillig ansah. Blasse Haut, ungeschminkt. Ein voller Mund, der beinahe zu groß für das Gesicht schien und Trotz und Unwillen demonstrierte.
    »Ich wäre nicht jetzt gekommen, wenn es nicht jetzt sein müsste.«
    Sie öffnete zögernd die Tür, trat zurück und schloss mit der rechten Hand den bunten, ausgewaschenen Morgenmantel, der nur von einem Gürtel zusammengehalten wurde. Ihre nackten Füße steckten in Pantoffeln. Der Morgenmantel endete oberhalb ihrer Knie. Ihre Beine hatten den Punkt von kräftig zu massig leicht überschritten und zeigten an den Waden ein dünnes Netz aus Krampfadern. Gerald schätzte sie auf Ende dreißig. Sie war kleiner als er, aber von kräftigem Körperbau. Den linken Arm hatte sie wie zum Schutz vor ihre Brust gelegt.
    Gerald schloss die Tür hinter sich. Gleich links befand sich die Küche. Auf dem Küchentisch standen noch drei Teller, Tassen, Cornflakes, Brot, Marmelade und eine Butterdose.
    »Ich fühle mich nicht besonders wohl«, sagte sie und schaute an Gerald vorbei. »Wahrscheinlich etwas mit dem Magen. Ich hatte mich gerade wieder ins Bett gelegt.«
    Sie ging voraus ins Wohnzimmer, das zur Straßenseite lag. Es war dem des Hausmeisters nicht unähnlich: eine dunkelbraune Schrankwand, ein kleiner Fernseher und eine etwas neuere, teurere Sitzgarnitur. Vor dem Fenster standen ein Schreibtisch mit Stuhl, ein Bildschirm, Drucker, Lautsprecher und Kopfhörer. Der Computer war angeschaltet, der Bildschirmschoner zeigte eine Insellandschaft im Meer. Die Luft war bereits um diese Uhrzeit

Weitere Kostenlose Bücher