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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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zog. »Wir wissen ja nicht einmal, ob ein Zusammenhang zwischen den beiden Fällen besteht. Ja, noch nicht einmal, ob die BIID-Erkrankung überhaupt eine Rolle spielt. Wenn zwei Menschen zu Tode kommen, die einen grünen Wagen fahren oder in ihrer Freizeit Tennis spielen, stellt man schließlich nicht automatisch eine Verbindung auf Basis dieses Details her.«
    »Erst eins, dann zwei, dann drei«, sagte sie langsam, wie zu sich selbst, als hätte sie ihm gar nicht zugehört. »Gibt es da draußen jemanden, der uns so sehr hasst, dass er uns der Reihe nach umbringen will?«
    »Du solltest dir nicht zu viele Gedanken machen, Franziska.«
    »Und du solltest dir gar keine Gedanken mehr machen, was uns beide angeht, Gerald. Es hat mich nicht sonderlich gestört, dass du verheiratet bist. Du bist sehr unglücklich, das sieht man auf den ersten Blick. Ich hätte gern für etwas Glück in deinem Leben gesorgt. Selbst dran schuld, wenn dir das jetzt verwehrt bleibt. Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann ist es belogen zu werden. Das ist entwürdigend.«
    Er leerte sein Glas in einem Zug. »Ich habe mir im Dienst der Ermittlungen eine andere Identität zugelegt. Das ist etwas anderes, finde ich. Ich habe dich nicht angelogen. Vor allem habe ich nicht gelogen, als ich hier mit dir alleine war.«
    »Ich finde, du solltest jetzt gehen, Gerald«, antwortete sie knapp.
    Er stand auf und ging in die Diele. Die Küchentür war geschlossen; die ganze Zeit über hatte er die Katze nicht gehört. Er spürte Franziska in seinem Rücken.
    »Wenn wir im Rahmen meiner Untersuchungen zusammentreffen, werde ich einen Kollegen dabeihaben. Wir werden uns siezen, und ich werde nie in dieser Wohnung gewesen sein.«
    »Warst du doch auch nicht wirklich«, konterte sie, aber in ihrer Stimme lag zu seiner Überraschung ein Anflug von Ironie. Franziskas Augen hatten ihre natürliche Farbe wiedergewonnen. Es spielte sogar ein Lächeln um ihre Lippen, unsichtbar zwar, aber er sah es dennoch.
    »Kannst du mir bitte deine Handynummer geben? Aus rein dienstlichen Gründen, versteht sich.«
    »Ich habe kein Handy. Ich hasse diese Pseudogespräche, die ich jeden Tag in der Bahn und in der Uni anhören muss.«
    »Okay. Dann werde ich jetzt gehen«, sagte er, die Hand am Türgriff.
    Sie wich seinem Blick aus und schaute in das Wohnzimmer. »Oh, ich glaube, du hast etwas vergessen.« Sie ging hinein und kam mit seinem Dienstausweis zurück.
    »Gar kein so schlechter Typ«, sagte sie und rieb kurz mit der Kuppe ihres Zeigefingers über das Foto. »Hat jedenfalls mehr Phantasie, als man einem Polizisten zutrauen würde.«
    Sie reichte ihm den Ausweis.
    Es war bereits nach zehn, am Himmel zeigten sich einige dunkle Wolken. Er fühlte die Abendkühle an seiner Gesichtshaut, und es war ein angenehmes Gefühl. Es half ihm, langsam zur Besinnung zu kommen. Als er seinen Wagen erreicht hatte, sträubte sich etwas in ihm. Er hatte nicht die geringste Lust, nach Hause zu fahren. Er schaute hoch zu ihrer Wohnung und fühlte sich plötzlich erleichtert. Auch wenn es mit Franziska nicht weitergehen würde, bereute er den gestrigen Abend keine Sekunde. Er hatte Glück erlebt, sexuelles Glück, das Glück, frei und offen reden zu können, sich angenommen und verstanden zu fühlen. Herrgott, lebte man nicht, um genau das zu fühlen?
    Er ging einmal um den Block, atmete tief ein. Er lief an geschätzten zwanzig Kneipen und Restaurants vorbei, aber seine Ruhelosigkeit hielt ihn davon ab, sich an einen Tresen zu setzen. Er kehrte zu Franziskas Haustür zurück, wechselte die Straßenseite, um zu sehen, ob in ihrem Wohnzimmer noch Licht brannte. Doch es war stockdunkel. Er hatte große Lust, einfach noch einmal bei ihr zu klingeln. Er fühlte sich unverletzbar in seinem Übermut, aber er sah doch klar genug, dass er ihre Abmachung respektieren musste.
    Er holte den Autoschlüssel aus seiner Tasche. Severin wird längst schlafen, dachte er. Wahrscheinlich auch Nele. Oder sie würde hoffentlich so tun, als ob.

9
    Gerald wartete bereits seit zehn Minuten in der Ebersberger Straße und lief vor dem Hauseingang auf und ab. Er hatte die U-Bahn und dann den Bus genommen, weil Batzko mit dem Dienstwagen kommen würde. Aber Batzko verspätete sich; wahrscheinlich sorgte er noch in der Dienstbesprechung für Karrierepunkte.
    Gerald beschloss, einen Blick in den Garten zu werfen. Er ging weiter um das Haus herum als beim ersten Mal und sah nun, nahe an der Terrasse, die mit weißen

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