Die Narbe
Marmorplatten ausgelegt war, eine Kinderschaukel, daneben ein großer rechteckiger Sandkasten. Die bunten, vom Sand halb verdeckten Formen, wirkten wie die Funde von Ausgrabungen.
Beim Swimmingpool konnte Gerald keinerlei bauliche Fortschritte feststellen. Die Innenverkachelung schien nicht weiter fortgeführt zu sein; um den Rand herum standen an derselben Stelle wie in der Woche zuvor die Zementmischmaschine und weitere Gerätschaften. Besonders die Schaufel, deren Ende in der Mischmaschine steckte wie ein Löffelstiel in einem Eisbecher, war Gerald im Gedächtnis geblieben.
Als er zum Vordereingang zurückkehrte, stieg Batzko gerade aus dem Dienstwagen, den er auf der gegenüberliegenden Seite geparkt hatte, und blinzelte in den Himmel. Die Wolken vom Vorabend hatten sich verzogen, die Sonne brannte bereits zu dieser Uhrzeit. Batzko trug ein orangefarbenes Hemd mit kurzen Ärmeln, perfekt abgestimmt auf seine Sonnenstudiobräune. Bevor er die Straße überquerte, griff er in die Hemdtasche, schaute nach links und rechts, zog eine verspiegelte Sonnenbrille hervor, setzte sie auf, ging über die Straße, durch den Vorgarten zur Eingangstür, wo Gerald bereits wartete, und nahm die Brille schließlich wieder ab.
Gerald klingelte. Es war Dr. Chateaux selbst, der nach nur wenigen Sekunden die Tür öffnete. Gerald trat zur Seite, um Batzko – den er nicht auf das Aussehen des Psychotherapeuten vorbereitet hatte, die volle Breitseite des Anblicks zu gewähren: zwei von simplen Haushaltsgummis gehaltene Zöpfe, der sauber gestutzte Bart, ein hellrotes Seidenhemd, die bunte Patchwork-Strickjacke, eine beige Leinenhose und abgetragene, graue Hausschlappen. Jedes Einzelteil passte nur zu sich selbst, nichts passte zusammen.
»Herr van Loren? Was machen Sie denn hier? Und wer ist …« Dr. Chateaux blickte Gerald und Batzko verdutzt an. Batzko ergriff sofort die Initiative.
»Darf ich vorstellen? Kriminalkommissar Gerald von Loren. Ich bin Kriminalhauptkommissar Batzko. Wir ermitteln in einem Mordfall und müssen uns mit Ihnen unterhalten.« Dr. Chateaux schaute Gerald verunsichert an, als hoffte er, dass sich alles nur als ein großes Missverständnis herausstellen würde. »Wir können in mein Büro gehen«, sagte er schließlich, senkte den Kopf und ging voraus. Es war nichts mehr geblieben von der ironischen Souveränität, die Chateaux normalerweise ausstrahlte.
»Was hat das zu bedeuten, Herr van Loren? Soll ich daraus schließen, dass Sie nicht als Privatperson zu mir kamen, sondern undercover in einer Gruppentherapie ermittelten? Ist einer meiner Patienten in einen Mord verwickelt? Ist etwas anderes passiert?«, sagte Chateaux, der mittlerweile Platz genommen hatte. Unwillkürlich schaute Gerald auf die Kinderzeichnungen über seinem Kopf.
»Bewahren Sie bitte Ruhe. Tatsächlich bin ich in Ihre Gruppentherapie gegangen, weil der Tod von Alexander Faden uns noch gewisse Rätsel aufgibt.«
»Rätsel? Welche Rätsel? Warten Sie, ich erinnere mich jetzt. Ich hatte mit Ihnen telefoniert, nicht wahr«, sagte Chateaux in einer ungewohnten Schärfe, den Blick auf Batzko gerichtet. »Ich habe mich über meine berufliche Schweigepflicht hinweggesetzt, in der Annahme, es handele sich um eine pure Formalität. Ich habe Ihnen, über die strengen Regeln meiner Berufsethik hinaus, helfen wollen. Und das danken Sie mir, indem Sie, Herr van Loren, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Platz in meiner Gruppentherapie einnehmen und damit meine therapeutische Arbeit boykottieren. Wie können Sie das verantworten? Es handelt sich schließlich nicht um einen Volkshochschulkurs in Weihnachtssternbasteln, das dürften auch Sie erkannt haben. Meine Herren, ich weise Sie darauf hin, dass ich Ihr Vorgehen von meinem Berufsverband juristisch überprüfen lassen werde.«
»Dem sehen wir gelassen entgegen«, entgegnete Batzko, der sich einfach einen Stuhl gegriffen hatte und nun neben Gerald auf der anderen Seite des Schreibtisches saß. »Wir möchten mit Ihnen zunächst über die Ermordung von Arno Reuther sprechen.«
Gerald beobachtete sein Gegenüber genau. Der Arzt schlug die Augen nieder und legte die Hände an die Schläfen. Er wirkte angestrengt, geradezu gequält. Gerald hatte den Eindruck, dass Chateaux nicht von der Nachricht überrascht worden war. Doch er schien erst in diesem Moment zu realisieren, dass der Mord etwas mit ihm selbst und mit dem Todesfall von Alexander Faden zu tun haben könnte und dass es folglich
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