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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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anonymer, austauschbarer. Wir fühlen uns Dingen und Kräften ausgeliefert, die wir nicht kontrollieren können. Der Körper erscheint vor diesem Hintergrund vielen als ein Rückzugsort, als das Einzige, worüber sie noch eine Verfügungsgewalt haben. Er gehört ihnen und nur ihnen. Sie lassen sich tätowieren, piercen, manche lassen sich Metallplatten unter die Stirnhaut schieben, andere wiederum fügen sich ständig neue Verletzungen zu, weil sie sich nur mit einer Wunde als sie selbst fühlen. Der Körper wird zu einem Blatt Papier, auf dem wir Auskunft geben über unsere Biografie, unsere Sehnsüchte und Hoffnungen. Das alles gehört zum freien Willen des Menschen und muss natürlich aus der eigenen Tasche bezahlt werden. Wenn die Krankenkassen eine Amputation als anerkannte Therapie bei einer BIID-Erkrankung akzeptieren, sehen sie die Gefahr, dass jemand eine BIID-Erkrankung simulieren könnte, um sich einen Eingriff bezahlen zu lassen, den er anderenfalls selbst finanzieren müsste.«
    »Führt das nicht ein paar Kilometer weit weg von unserem Fall, Herr Doktor?«, provozierte Batzko. »Und mal im Ernst: Wer lässt sich schon zum Spaß oder weil’s modisch ist, ein Bein oder einen Arm amputieren oder was weiß ich noch alles? Dass so jemand krank in der Birne ist, ist doch eh klar.«
    Chateaux drehte sich in seinem Stuhl etwas zur Seite und holte Atem, wie ein Lehrer, der den Einwurf eines Schülers unpassend findet. »Sie haben mich nach den Hintergründen gefragt, ich habe geantwortet. Im Übrigen ist eine extreme physische oder ästhetische Aufmerksamkeit für den Körper nur eine Seite der Medaille. Die einen wollen durch ihren Körper ihre Verwundungen ausdrücken, die anderen den Drang nach Perfektion und Unbesiegbarkeit. Denken Sie an die vielen Schönheitsoperationen, die neuerdings schon Minderjährige durchführen lassen, an die Menschen, die in Bodybuilding-Centern ihren Körper modellieren, als wäre er eine Kampfmaschine. Einige, so heißt es, würden dadurch auf aggressive Weise eine latente Homosexualität unterdrücken. Nun, wie dem auch sei, Sie haben gefragt, ich habe geantwortet.«
    Die letzten Sätze hatte Chateaux direkt an Batzko gerichtet. Dann schnappte sein Lächeln zu, diesmal begleitet von einem Hochziehen der Brauen und einem konspirativen Augenzwinkern.
    Gerald konnte aus den Augenwinkeln beobachten, wie Batzko mit dem Kopf zuckte, als hätte er eine Ohrfeige erhalten. Doch nach nur einem Bruchteil einer Sekunde fuhr er aus dem Stuhl hoch und stemmte beide Arme mit geschlossenen Fäusten auf den Schreibtisch.
    »Jetzt passen Sie mal sehr gut auf«, sagte er, so zischend leise, dass es umso lauter ins Gehör fuhr, »ich bin Kriminalbeamter, ich vertrete die Exekutive dieses Staates. Sie werden mir mit dem nötigen Respekt begegnen und persönliche Beleidigungen dieser Art unterlassen, oder mein Kollege könnte kurz vergessen, dass er sich hier im Raum befindet. Ist das deutlich genug?« Batzko nahm einen der beiden Zöpfe von Chateaux in die Hand, drehte ihn um den Zeigefinger und sagte mit zuckersüßer Stimme: »Apanatschi!«
    Während er sich wieder setzte, schaute Chateaux zu Gerald. Er wirkte noch schmaler, so unendlich filigran wie Arno Reuther. Dann sagte er: »Ich verstehe viele Ihrer beruflichen Schwierigkeiten besser als je zuvor, Herr van Loren, auch wenn Sie sie in gewisser Weise abstrahiert haben. Einer so elementaren Kraftentfaltung gegenüber …« Er führte den Satz nicht zu Ende. Gerald wich seinem Blick aus; er wollte Batzkos Ausraster nicht dadurch bestätigen, indem er ihn kommentierte. Er räusperte sich kurz: »Hatte Herr Reuther Ihnen das Geld bereits gegeben, Herr Dr. Chateaux?«
    »Ja, vor wenigen Tagen erst.«
    »In bar oder per Überweisung?«
    Chateaux nahm einen Stift in die Hand, drehte ihn nervös zwischen den Fingern und fing an zu husten. Obwohl der Bart wie ein Teppich über seiner Gesichtshaut lag, bemerkte Gerald, dass er leicht rot wurde.
    »Verzeihung, spielt diese Information für Ihre Ermittlungen eine Rolle?«
    »Das werden Sie gefälligst uns überlassen«, bellte Batzko.
    »Also gut. Ich hatte ihn gebeten, mir die Summe in bar zu geben. Im Kontext der verschiedenen Leistungen und Überweisungen … Es ist ja alles ziemlich kompliziert … Auch auf Wunsch der ausländischen Mediziner, ich muss in finanzielle Vorleistung eintreten … Sie verstehen doch.«
    »Ausgezeichnet. Die internationale Medizin ist doch ein Heimspiel für uns. Wir

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