Die Narbe
Richtung Zimmerdecke.
»Kennen Sie einen Mann namens Volker Pollinger?«, fragte Batzko.
»Was? Ist etwas mit ihm? Ist ihm etwas passiert?« Sie wirkte plötzlich wie elektrisiert. In ihrem müden Blick wurden Angst und Unruhe sichtbar.
»Nicht, dass ich wüsste. Aber das war nicht meine Frage.«
Sie beugte sich vor, um die Asche abzustreifen, in einer fahrigen, unkontrollierten Bewegung, die den Ansatz einer schweren Brust erkennen ließ. Batzko schnaufte ganz kurz. Er hatte natürlich gemerkt, wie Marleen Kattowitz ihn an der Wohnungstür mit ihren Augen gescannt hatte. Gerald hatte eigentlich vermutet, dass sein Kollege einen höheren Standard für seine Eroberungen anlegte. Aber wie Batzko neben ihm saß, die Unterarme auf die mächtigen Oberschenkel gestützt, das Kreuz durchgedrückt, die Sonnenbrille lässig in den obersten Hemdknopf gehängt – das sah geradezu gefährlich sprungbereit aus.
»Volker ist mein Mann. Also, korrekt gesagt, mein Lebensgefährte. Aber er wohnt nicht offiziell hier. Er ist noch verheiratet. Er hat drei kleine Kinder und will das Sorgerecht nicht verlieren. Er liebt sie. Das weiß seine Frau, und deshalb macht sie ihm Probleme, wo es nur geht. Sie schreibt alles auf, was gegen ihn sprechen könnte. Niemand kann so hinterfotzig sein wie eine Frau, die sich rächen will. Sie wussten das vielleicht schon, ich weiß es erst seit kurzem. Die Liste hat sie im Flur aufgehängt, damit er sie immer sieht, wenn er zur Arbeit geht. Irgendwie wartet die Schlampe nur darauf, dass ihm die Hand ausrutscht.«
»Was macht Herr Pollinger beruflich?«
»Er ist Fernfahrer. In der Regel fährt er am Montag los und kommt Donnerstag oder Freitag wieder. Zuerst kommt er zu mir und holt sich, was er zum Leben braucht. Wenn er danach zu seinen Kindern fährt, schnüffelt seine zukünftige Ex an seinen Klamotten und zieht über mein Parfüm her. Ich bin überzeugt, dass sie noch ganz anders über mich herzieht, aber das verrät er mir nicht, aus Angst, ich könnte ausrasten.«
In den Computer kam plötzlich Leben. Ein seltsames Geräusch erklang, wie ein Pochen oder Anklopfen, obwohl der Bildschirm abgedunkelt blieb. Marleen Kattowitz registrierte das Geräusch, drehte sich aber nicht um.
»Letzte Woche, am Sonntag, also einen Tag vor dem Tod von Alexander Faden, hat Volker Pollinger sich auf eine Prügelei eingelassen in einer Kneipe hier in der Nähe. Wissen Sie davon, Frau Kattowitz?«, fragte Batzko.
»Wie denn nicht? Ich habe ihn im Krankenhaus besucht. Er hat schon ab Montag bei mir geschlafen, nur tagsüber musste er noch in die Klinik. Hören Sie, ich habe Ihnen doch gerade gesagt, dass diese Tussi ihn auf hundertachtzig treibt. Da reicht eben manchmal ein falsches Wort am falschen Ort. Aber jetzt muss ich wirklich weiterarbeiten. Wenn ich Sie also bitten dürfte …«
»Ist es richtig«, fuhr Batzko fort, ohne ihren Einwand überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, »dass es in der Auseinandersetzung um Sie ging, Frau Kattowitz? Dass der andere Streithahn Sie beleidigt und in Ihrer Ehre gekränkt hat?«
Sie zuckte wieder träge mit den Schultern und zündete sich eine neue Zigarette an. »Und wenn schon? Mir macht das nichts. Ich habe mir ein dickes Fell zugelegt. Das habe ich Volker voraus. Aber was soll das jetzt alles? Ich war doch nicht dabei. Was fragen Sie mich? Wenn Volker provoziert wird, brennen ihm schon mal die Sicherungen durch. Er ist eben so gebaut, dass er zur Not Sie beide durch die Tür haut.«
Batzko räusperte sich hörbar.
»Ist es richtig, dass die Provokation auf Ihre berufliche Tätigkeit zielte?«, fragte Gerald geduldig, aber bestimmt, »und dass diese Tätigkeit nicht darin besteht, Banküberweisungen an Ihrem PC durchzuführen?«
Marleen Kattowitz lächelte flüchtig. Es war ein trauriges, resignatives Lächeln. Nicht von der Art, als wäre sie überführt oder bloßgestellt worden, sondern als löste sich eine Anspannung in ihr. Zum ersten Mal schaute sie Gerald direkt in die Augen.
»0901666999. Ich heiße Cora. Wir reden über alles, was du willst. Was du gerne mit Frauen machst. Was sie mit dir machen sollen. Vielleicht 69, wie in unserer Telefonnummer? Wenn du willst, zeige ich dir mit der Webcam meinen Körper, für dich ganz allein. Sie fährt über meine Haut, überall dort, wo du mit deiner Zunge und deinem Prachtkerl hinmöchtest.« Marleen Kattowitz sprach ohne Betonung, als würde sie einen Text, den sie nicht einmal verstand und der ihr vollkommen
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