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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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beschäftigen uns bekanntlich mit nichts anderem«, sagte Batzko gereizt. »Vielleicht stecke ich das einem Kollegen vom Finanzamt, diese Geldübergabe unter dem Tisch. Hat was von Medizin in der dritten Welt, finden Sie nicht? Bei der Gelegenheit könnte man ja auch die Nervosität Ihres Kindermädchens erwähnen, das, sobald mein Kollege nur ›Guten Tag‹ sagt, wie ein Sprechautomat auf ihre angeblich korrekten Papiere verweist. Aber das überlasse ich dann lieber den Kollegen, die für eine transparente Buchführung zuständig sind.«
    Batzko, der Angeber, dachte Gerald, hat sich festgebissen. Aber wir brauchen unseren Arzt noch lebend. Er räusperte sich und fragte betont höflich: »Hatte Arno Reuther zu diesem Zeitpunkt bereits mit seiner Frau gesprochen? Und kennen Sie Katja Reuther eigentlich persönlich?«
    Die Erleichterung, sich wieder Gerald zuwenden zu können, schwang in der Stimme des Therapeuten mit. »Er sagte mir, dass er mit ihr gesprochen habe. Das müssten Sie, Herr van Loren, aus der letzten Therapiestunde, an der Sie teilgenommen haben, eigentlich bestätigen können. Katja Reuther kenne ich, ja. Die beiden hatten mich vor einiger Zeit als Paar konsultiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte Arno Reuther weder ihr noch mir gegenüber seine Erkrankung erwähnt. Aber sie stellte für seine Ehe eine große Belastung dar, weil Arno einen sehr wichtigen Teil seiner Persönlichkeit einfach verschwieg. Diese Paargespräche sind allerdings schon, warten Sie, über ein Jahr her. Sie werden sicher nicht nutzlos gewesen sein, wenngleich das Outing von Arno Reuther erst im Zuge der Gruppentherapie geschah. Das hatte zweifelsohne auch mit den anderen BIID-Patienten Alexander Faden und Franziska Grittmann zu tun.«
    »Hatten Sie nach der Paartherapie Kontakt zu Frau Reuther?«
    »Nein. Das heißt, wir sind uns in der Innenstadt mal über den Weg gelaufen. Zweimal sogar, wenn ich mich recht erinnere. Jeweils beim Einkaufen. Wir haben einen Kaffee getrunken und zwanglos geplaudert. Ich hatte für beide viel Sympathie übrig.«
    »Wann haben Sie den letzten Kaffee, wie Sie sagen, getrunken?«
    »Das weiß ich nicht mehr.« Chateaux schien nach einer möglichst unverbindlichen Antwort zu suchen. Die blasierte Sicherheit, die er bei seinen medizinischen Ausführungen an den Tag legte, war schlagartig gewichen. Er begann zu taktieren, und unglücklicherweise war ihm das deutlich anzumerken. »Warum sollte ich diese Zufallsbegegnungen in meinem Gedächtnis abspeichern? Vielleicht vor einigen Wochen. Ich weiß es wirklich nicht.«
    In diesem Moment drang Lärm aus der Diele in das Sprechzimmer. Gerald erkannte die aufgeregte Stimme des Au-pairs. Kinder – ein Junge und ein Mädchen, vermutete Gerald – antworteten der jungen Frau, untermalt von den Geräuschen, die entstehen, wenn Schultaschen eilig auf den Boden abgestellt und Kleidung von der Garderobe genommen wird. Aber da war noch ein weiteres, merkwürdiges Geräusch: ein Klappern, wie von Krücken, die an eine Wand gelehnt wurden, rutschten, zu Boden fielen, unter Flüchen wieder aufgenommen wurden. Schließlich fiel die Haustür ins Schloss. Die drei gingen am Sprechzimmer vorbei in die Garage. Gerald schaute nach draußen, konnte jedoch von seinem Platz aus nichts sehen, weil der Vorgarten tiefer lag als das Haus.
    »Meine beiden Kinder«, kommentierte Chateaux. »Eigentlich müssten sie längst in der Vorschule bzw. in der Schule sein, aber die erste Stunde fällt heute aus, wie so oft. Wie soll dieses Land konkurrenzfähig bleiben, wenn der einzige Rohstoff, den wir haben, nicht im Erdboden liegt, sondern in den Köpfen der Bevölkerung? Eine kollektive Verdrängung erster Ordnung, wir sehen immer nur die Materie, die aus Wissen, Bildung und Kompetenz hervorgeht, wie Autos, Computer, Flugzeuge, aber nicht das Wissen an sich. Das ist tückisch, wissen Sie?«
    Batzko trommelte mit den Fingern auf der Stuhllehne. »Ist ja ungemein interessant und lehrreich, dieser Ausflug in die Kulturphilosophie, nur fehlt mir der Bezug zu unserem Fall. Sie sind verheiratet, Herr Dr. Chateaux?«
    Wieder griff der Arzt zu einem Stift und ließ ihn zwischen den Fingerkuppen rotieren. »Meine Frau ist vor einem Jahr ausgezogen. Seitdem unterstützt mich ein Au-pair-Mädchen aus St. Petersburg, das bereits Ihre Neugierde in meldepolizeilicher Hinsicht geweckt hat, wie ich feststellen durfte. Sie wohnt, zu Ihrer Information, hier im Haus.«
    »Hat sie auch gestern die Kinder zur

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