Die Narbe
Schule gebracht? Wo waren Sie zwischen halb neun und halb elf?«
Der Arzt dachte nach. »Gestern … Nein, gestern habe ich meine Kinder selbst zur Schule gebracht, weil ich noch Verschiedenes in der Innenstadt erledigen wollte. Meine Sprechstunde begann erst um elf.«
»Haben Sie dafür Zeugen? Vielleicht Quittungen von Ihren Einkäufen?«
Chateaux nickte. »Ich war im Kaufhof am Marienplatz. Ich habe eine elektrische Obstpresse gekauft. Bei dem Wetter gibt es ja nichts Besseres als frisch gepresste Säfte. Es kann sein, dass ich die Quittung vergessen habe, aber die Originalverpackung liegt vielleicht noch in der Küche oder im Abfall.«
»Weitere Einkäufe?«
»Nein. Ich bin durch verschiedene Abteilungen gebummelt, ohne etwas gekauft zu haben. Dann bin ich zum Viktualienmarkt gegangen.«
»Ein Katzensprung vom Isartor entfernt«, kommentierte Batzko.
Chateaux hob irritiert den Kopf. »Ja. In der Tat.« Dann, nach einem Moment, in dem er selbst eine Verbindung zum Mord an Arno Reuther zu ziehen schien: »Sie meinen doch nicht etwa …?«
»Reine Routine«, sagte Gerald begütigend. »Wir werden Ihre Aussagen nachprüfen müssen. Für heute habe ich keine weiteren Fragen mehr.«
Chateaux schaute auf seine Armbanduhr. »Das ist gut. Verzeihen Sie, aber bald kommt mein erster Patient. Ich brauche noch ein paar Minuten, um mich zu sammeln. Der Tod von Arno Reuther …«
Batzko erhob sich von seinem Platz. »Wir kommen wieder, Herr Doktor. Ich gehe davon aus, dass Sie ständig erreichbar sind?«
Chateaux nickte und trat einen Schritt zurück. Er hat wahrscheinlich Angst, dass Batzko ihm alle Knochen seiner Hand zermalmt, dachte Gerald.
»Diese Squaw ist doch von vorne bis hinten nicht echt«, maulte Batzko und ließ den Sicherheitsgurt einrasten. »Ich werde beim Staatsanwalt Konteneinsicht beantragen. Vierzigtausend Euro in bar auf die Kralle! Ich fresse einen Besen, wenn die Summe in den Büchern des Schwätzers auftaucht.«
Batzko startete den Motor und fuhr mit quietschenden Reifen los. An der Kreuzung Innstraße machte er eine Vollbremsung.
»Jetzt komm mal langsam runter, du verdammter Adrenalin-Junkie«, rief Gerald, der sich vor Schreck tief in den Sitz gedrückt hatte. »Bist du dir im Klaren darüber, dass du einem Zeugen überdeutlich Gewalt angedroht hast? Dass du ihn begrabscht hast? Das ist unprofessionell und idiotisch. Wir haben zwei Mordfälle zu lösen. Ich habe keine Lust, mich zusätzlich mit deinen Unbeherrschtheiten herumzuschlagen, Batzko!«
»Wir waren zu zweit, er alleine«, antwortete Batzko ungerührt.
»Dann muss ich also dankbar sein, dass du ihm nicht noch ein paar Zähne ausgeschlagen hast, oder?«
Batzko antwortete nicht und schaltete einen Gang zurück. Lange fiel kein Wort zwischen den Kollegen. Dann nahm Gerald den Faden wieder auf. »Das Geld müsste er nun eigentlich an Katja Reuther zurückzahlen. Ich hatte irgendwie den Eindruck, dass er von der Ermordung Reuthers nicht durch die Medien erfahren hat. Vielleicht liegt ja das letzte Kaffeetrinken mit Katja Reuther nicht erst Wochen, sondern gerade mal einen Tag zurück.«
»Du meinst, die beiden hatten etwas miteinander und der Ehemann war im Weg?«
»Ich weiß nicht. Arno Reuther liebte seine Frau, das war überdeutlich in den Therapiestunden. Jedenfalls schien mir das so. Bei ihr bin ich mir allerdings nicht ganz so sicher. Ich kann es nicht begründen, aber ich habe da so ein Bauchgefühl.«
»Chateaux vögelt wahrscheinlich mit Frauen, Männern und Kleintieren, weil er für alles eine schöne Befreiungstheorie hat. Den Typen haben wir jedenfalls an den Eiern, darauf kannst du dich verlassen. Ich weiß nicht, wie du den ausgehalten hast. Mir rollen sich die Fußnägel auf, wenn ich den nur angucken muss.«
»Mag ja sein. Aber deshalb musst du ihm nicht bei der ersten Unterredung mit den Füßen ins Gesicht springen.«
»Tut aber gut«, grinste Batzko. »Wenigstens renne ich nicht in eine Therapie wie du.«
Sie näherten sich dem Prinzregentenplatz. Batzko musste langsam fahren, weil vor ihm ein Lastwagen mit Anhänger tuckerte. Ebenso unruhig wie vergebens wartete er auf eine Möglichkeit zum Überholen. Gerald schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Erst Alexander Faden, dann Arno – und dann Franziska? Gab es doch eine Spur, die zu ihr führte und die er nur noch nicht erkannt hatte? Auch wenn Arno und Franziska ihre wahre Identität in dem Forum nicht preisgegeben hatten – irgendjemand, zumindest
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