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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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Halbdunkel der Diele. Dennoch machte er auf Gerald keinen ungepflegten Eindruck, dazu waren die Augen zu klar und die Kleidung zu ordentlich, obwohl sie leicht abgetragen waren; eine braune Hose mit Bundfalten, die der Mann vielleicht früher in einem Büro getragen und nun für gröbere Arbeiten umgewidmet hatte.
    »Verzeihung, sind Sie der Vater von Alexander Faden?« Gerald erinnerte sich an das Foto des jungen Mannes, und tatsächlich erkannte er in beiden Gesichtern die genetische Verwandtschaft und den Abstand von circa dreißig Jahren Leben.
    Statt zu antworten, tratt der Mann zur Seite und gab dadurch den Blick auf das Badezimmer frei, in dem eine Frau seines Alters putzte. Sie trug einen knielangen Kittel, ein Kopftuch und grüne Plastikhandschuhe. In der einen Hand hielt sie eine Flasche mit Reinigungsmitteln, in der anderen einen Lappen. Sie war noch etwas kleiner als ihr Mann, mit einer schmalen, länglichen Nase und verkniffenen Gesichtszügen, die den misstrauischen Blick sekundierten, mit dem sie die beiden Kommissare anschaute.
    Gerald stellte sich selbst, dann Batzko vor. Daraufhin ließ die Frau den Kopf sinken, biss sich auf die Unterlippe und schloss die Badezimmertür. Der Mann schüttelte den Kopf, murmelte etwas Unverständliches und zupfte Gerald am Ärmel, um ihn ins Wohnzimmer zu bitten. Er ging langsam und stark nach vorne gebeugt.
    »Meine Frau … Sie kann nicht mehr so richtig nach Alexanders Tod. Verstehen Sie?«
    Batzko gab Gerald ein Zeichen, dass er außerhalb der Wohnung mit ihm reden wolle. Im Treppenhaus sagte er: »Hör zu, mach du das hier. Du bist bekanntlich der weltbeste Tröster in Polizeiuniform. Ich gehe ins Präsidium und schreibe den Bericht über die Kattowitz.«
    Er griff in die Tasche und drückte Gerald den Autoschlüssel in die Hand. »Ich nehme die Straßenbahn, und du weißt, wie ich öffentliche Verkehrsmittel hasse«, fügte er hinzu, als wäre damit von seiner Seite ein Gleichgewicht hergestellt.
    Der Mann saß mit gebeugtem Rücken auf dem Sofa im Wohnzimmer. Auf dem Tisch vor ihm die gerahmten Urkunden, die Alexander Faden als Design-Student gewonnen hatte. Sie waren so präzise angeordnet, als wollte er sie fotografieren. Ein Staubtuch lag daneben.
    »Er war so talentiert. Ich sage das nicht, weil er mein Sohn war. Ich kann das beurteilen, weil ich selbst als Grafiker gearbeitet habe. Bis vor zwei Jahren. Da haben sie mich nach zwei schweren Herzinfarkten in die Frührente verabschiedet.«
    Seine Stimme war leise und sanft. Es war, als hätte er eher zu sich selbst gesprochen. Gerald bemerkte nun, dass die Kleidung des Mannes um mehrere Nummern zu groß war. Vermutlich hatte er nach den Infarkten viel Gewicht verloren. Er strich, wie in einer Abschiedsgeste, langsam über das Glas einer Urkunde und lehnte sich zurück.
    »Zeichnen können viele. Einen Baum, das Meer oder eine Rose schön finden auch. Aber Alexander hatte diesen besonderen Blick für Dinge. Er hat nie wie andere Kinder die Sonne gemalt, Wolken, darunter eine Wiese oder ein Gebirge. Immer nur Gegenstände. Da war schon immer eine Art Zärtlichkeit in ihm gewesen für Dinge, die andere uninteressant und ausdruckslos fanden. Er konnte sich stundenlang mit einer Lampe beschäftigen oder einem Telefon oder einem Türgriff. Und dann hat er gezeichnet, und er hat die Objekte, die ihm gefielen, verwandelt, ihre Form und ihre Farben variiert. Es war fast so, als entdeckte er in jedem Ding eine Seele, verstehen Sie? Er war schon als Student in Fachkreisen bekannt. Er wäre sicher ein berühmter Designer geworden. Das haben viele gesagt.«
    Dann schaute er Gerald an und sagte: »Aber ich weiß jetzt gar nicht, warum Sie da sind. Es war doch … kein Verbrechen, meine ich. Oder ist da noch was? Hatte er vorher irgendwie mit Ihnen zu tun? Doch nicht mein Alexander, oder?«
    »Nein. Absolut nicht. Ich hatte in einer anderen Angelegenheit hier im Haus zu tun und habe zufällig die Geräusche in der Wohnung gehört. Es ist reine Routine, wissen Sie, ein Automatismus, obwohl es keine Indizien für ein Verbrechen gibt und der Fall für uns eigentlich abgeschlossen ist. Aber ich fühle mich wohler, wenn Sie mir bestätigen, dass Alexander sich nicht bedroht gefühlt hat, dass er keine Feinde hatte.«
    Als hätte nur das Stichwort gefehlt, setzten die Geräusche aus dem Bad wieder ein. Es lag eine Regelmäßigkeit in ihnen, ein bizarrer Rhythmus, in dem jemand jeden einzelnen Gegenstand auf dem Glasregal

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