Die Narben der Hoelle
er zumindest in Erwägung zu ziehen, dass sein Opfer ihm etwas Ernsthaftes entgegenzusetzen haben könnte. Vielleicht sogar eine Schusswaffe.
Johannes wertete das als Vorteil für sich. Es kam seinem Hinterhalt entgegen.
Wieder vergingen Minuten. Welche Schlüsse mochte der Mann da oben an Deck wohl daraus ziehen, dass der Schein seiner Lampe nur eine menschenleere Kajüte erhellt hatte?
Dafür gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder sein Opfer hatte sich irgendwo versteckt oder es war ins Wasser geflüchtet. In beiden Fällen musste es also noch lebendig sein.
Johannes nickte trotzig. Dann versuch mal, das herauszufinden – etwas anderes bleibt dir gar nicht übrig! Aber dafür musst du herunterkommen und das Schiff durchsuchen …
Und ich warte auf dich.
Jetzt war er ganz ruhig. Es war diese wohlbekannte kalte Ruhe, die ihn immer überkam, wenn es wirklich gefährlich wurde.
Quälendes Warten. Dann plötzlich ein neues Geräusch: Das leise Knarren einer Holzstufe auf der Niedergangstreppe.
Er kam.
Der Salon lag noch immer in völliger Finsternis. Offenbar wagte der Mann nicht, seine Lampe wieder einzuschalten, solange er noch ohne Deckungsmöglichkeit auf der Treppe stand. Er wollte wohl erst einmal unbemerkt unten im Salon ankommen.
Johannes hielt die Luft an. Im Geist ging er immer wieder den Ablauf in den nächsten Sekunden durch.
Den zumindest, den er geplant hatte.
Wieder ein Knarren, aber weiter unten. Der Eindringling hatte sich in der Dunkelheit offenbar sehr langsam die Treppe heruntergetastet.
Jetzt musste er gleich das untere Ende erreichen.
Johannes fuhr zusammen. Noch einmal knallte der Bug des Stahlschiffes unsanft gegen die Akgül. Irgendetwas brach oben splitternd auseinander. Wenn das so weiter ging, würde selbst der Eigner sein gutes Stück nicht mehr wiedererkennen.
Plötzlich wurde es für einen kurzen Moment hell.
Durch den Spalt zwischen Tür und Schott konnte Johannes gerade noch sehen, dass der Mann keine zwei Meter entfernt flach auf dem Boden des Salons lag. Er hielt eine metallisch schimmernde Pistole in seiner rechten Hand. In der linken hatte er eine Stablampe, mit der er den Raum vor sich kurz ausleuchtete. Sofort schaltete er die Lampe wieder aus.
Was mochte der Kerl denken? Kam er allmählich zu der Überzeugung, dass hier keine lebendige Seele mehr an Bord war?
Genau der Trugschluss, den Johannes inständig herbeiwünschte. Seine Nerven waren jetzt zum Zerreißen gespannt. Das konzentrierte Lauschen auf jedes noch so kleine Geräusch ließ seine Ohren rauschen.
Die Kopfschmerzen kehrten zurück.
14
April
Afghanistan
Gleißend helle Strahlen, blendende Lichtbündel verschiedener Breite, die zwischen den zerklüfteten Bergspitzen im Osten hervorbrachen.
Die Sonne stieg auf hinter dem Hindukusch.
Endlich brauchten sie ihren Weg nicht mehr bei völliger Dunkelheit im Licht der Scheinwerfer zu suchen.
Noch bedeckte zwar der Nebel des frühen Morgens die weite Ebene. Doch der verdampfte schnell in der übergangslos einsetzenden Hitze.
Der kleine Konvoi erhöhte seine Fahrgeschwindigkeit und hielt weiter auf die hügeligen Ausläufer des Bergmassivs zu. Die Patrouille bestand aus zwei leicht gepanzerten Fahrzeugen vom Typ DINGO z. Eines fuhr voraus, dahinter folgte in größerem Abstand das zweite.
Schon in der Nacht waren sie aufgebrochen. Ihr Auftrag: Erkundung der Hügelketten, die dem Gebirge vorgelagert waren. Welche Wege gab es, die in das Hochgebirge hinauf führten, für welche Fahrzeuge waren sie befahrbar? Und: Wie weit konnte man darauf in das eigentliche Gebirgsmassiv vordringen?
Heute war die Patrouille anders besetzt als üblich.
Die Raketenüberfälle aus den Bergen heraus häuften sich. Hauptmann Johannes Clasen, Führer der QRF, der Schnellen Eingreiftruppe, wollte sich selbst ein Bild von der Lage hier draußen machen. Kurzerhand hatte er sich deshalb für diese Erkundungsfahrt als Patrouillenführer eingesetzt.
Paule war von dieser Idee überhaupt nicht begeistert gewesen. Johannes vermutete aber, dass der Hauptfeldwebel nur deshalb grummelte, weil er im Camp bleiben musste, um die Verstärkung der Schutzmaßnahmen zu beaufsichtigen.
Seit dem Angriff auf die Patrouille schlugen nämlich fast täglich irgendwo neue Raketen ein. Vorgestern in unmittelbarer Nähe einer Brückenbaustelle, auf der deutsche Pioniere arbeiteten. Zwei Soldaten waren verwundet worden, aber auch mehrere afghanische Bauarbeiter.
Nie hatte es bisher einen
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