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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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eine einzige Sauerei. Erstens hat er irgendeinen meiner Untergebenen – wahrscheinlich den Pospischil – bestochen, dass der ihm eine völlig aus der Luft gegriffene Theorie des Tathergangs erzählt. Zweitens hat er damit einen unbescholtenen Wiener Bürger – den Anastasius Schöberl – als Mörder vom Naschmarkt in Verruf gebracht. Drittens missbrauchte er mein Vertrauen aufs Gröbste. Denn wenn es sichere Fakten in dem Fall gegeben hätte, hätte er sie von mir als Erster erfahren. Schließlich treffen wir uns fast täglich hier im Café, spielen gemeinsam Tarock und sind ja auch sonst nicht böse aufeinander. So, jetzt wissen Sie, warum ich auf den Goldblatt so grantig bin.«
    Goldblatt war dies alles peinlich, trotzdem ging er zum Gegenangriff über: »Also bitte, meine Herren! Geschichten zu recherchieren und darüber zu schreiben, das ist mein Beruf. Außerdem kann ich wirklich nichts dafür, dass gerade derjenige, der gestern den Mord gestanden hat, der Lieblingsfleischhauer vom Nechyba ist. Deshalb ist er jetzt sauer auf mich. Weil er in Zukunft beim Fleischhauer wahrscheinlich nur mehr Flachsen zugeschnitten bekommt …«
    Über die letzte Bemerkung mussten sowohl der lauschende Baron als auch Kratochwilla und Lang schmunzeln. Nechyba grollte: »Ihre blöden Witze können Sie sich sparen, Goldblatt. Das ist nicht lustig. Der Schöberl ist höchstwahrscheinlich unschuldig, den haben sie nämlich gestern am Kommissariat in der Fleischmanngasse halb tot geprügelt, bevor er gestanden hat. Wenn ich Sie bei mir in der Polizei-Direction in ein Verhörzimmer bringe und Sie dann wie einen Hund hau, unterschreiben Sie mir auch jedes Geständnis. Wollen wir wetten, Goldblatt?«
    »Das mit dem Schöberl ist aber was anderes. Das wissen Sie ganz genau, Nechyba. Erst gestern am Vormittag haben wir gemeinsam beobachtet, wie dieser Grobian ein Mädel geschlagen hat. Am helllichten Tag, vor allen Leuten! Wer so was tut, ist zu allem fähig.«
    Bei dieser Bemerkung Goldblatts hielt es der Baron nicht länger aus, nur stiller Zuhörer zu sein. Mit einem lauten Räuspern schaltete er sich in den Diskurs ein: »Pardon, wenn ich mich einmische. Aber die Behauptung des Herrn Redakteur entbehrt doch jeglicher Realität. Nur weil ein Mann eine Frau schlägt, ist er noch lang kein Mörder …«
    Diese Behauptung wollte der Scharfrichter wiederum nicht unwidersprochen lassen: »Also Herr Baron, der Meinung bin ich ganz und gar nicht. Ich halt das für eine ausgesprochene Rohheit, wenn ein gestandenes Mannsbild ein Weib schlägt. Wenn ich so was sehe, werde ich ganz rabiat. Die Hand gegen eine Frau zu erheben, das gehört sich für einen anständigen Mann nicht.«
    »Ich weiß eh, dass der Schöberl ein brutales G’fraßt ist …«, brummte Nechyba, »aber umgebracht hat er Ihr Fräulein Cousine sicher nicht. Da geb ich Ihnen völlig recht, Herr Baron. Das sagt mir mein kriminalistischer Instinkt. Und Ihnen, Herr Goldblatt, gebe ich das gerne auch schriftlich: Der Schöberl war’s net!«
    Nechyba nahm einen Schluck Schnaps und fuhr dann fort: »Apropos, Goldblatt. Wissen Sie, wer heute bei mir war und mir einen interessanten Hinweis auf den möglichen Naschmarktmörder gegeben hat?«
    Der Angesprochene schüttelte den Kopf. Mit ruhiger Stimme klärte ihn Nechyba auf: »Ihre Nachbarin, Goldblatt. Frau Marianne Endlweber. Sie brachte zu Protokoll, dass ihr Nachbar ein unberechenbarer, gefährlicher Choleriker sei, der einen unregelmäßigen, bohemienhaften Lebenswandel führe und der sie schon des Öfteren bedroht hätte. Wollen Sie nicht morgen zu mir in die Polizei-Direction kommen, Goldblatt? Mir ein bisserl Rede und Antwort stehen, wo Sie in der Mordnacht waren, welches Alibi Sie haben, et cetera? Ich reservier ein Verhörzimmer für uns beide …«
    Der Baron, der Cafetier und der Scharfrichter lachten über diesen Vorschlag. Dadurch entspannte sich die Situation, und Lang drängte die beiden Streithähne, sich zu versöhnen. Goldblatt gab zu, dass er Schöberl mit der übereilten Veröffentlichung möglicherweise Unrecht getan habe. Schönthal-Schrattenbach nutzte die Gelegenheit, um in der Runde einige Zitate aus Otto Weiningers ›Geschlecht und Charakter‹ anzubringen. Und Adolf Kratochwilla war rundum zufrieden. Denn im Gegensatz zu den eher konsumationsarmen Tarockabenden wurde heute infolge des lauten und erregten Diskutierens heftig den Getränken zugesprochen. Was dem Cafetier einen hübschen Umsatz

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