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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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treffen. Nach einer Weile bemühte ich mich, der urwüchsigen Gegend eine natürliche Schönheit abzugewinnen, doch es blieb bei dem hehren Versuch. Selbst zwitschernde Vögel schienen mir hier wie die Vorboten kommenden Unglücks. Hinter jedem Baumstamm, jenseits jeder Kehre mochten die Geister des Waldes auf uns lauern. Ich erinnerte mich an all die Legenden von grausamen Hexen und Harzer Riesen, an Kobolde, Wichtel und Erdgespenster. Ich war stets ein Mann, der Aberglauben von Wahrheit zu unterscheiden wußte, doch auf jener Flucht, gejagt von den Schergen des Inquisitors und gefangen in einer Landschaft, die so eindeutig nicht für uns Menschen gemacht war, zitterten mir die Knie vor Angst.
    Ich beschloß, mich von den bösen Ahnungen abzulenken und das Gespräch mit Faustus zu suchen.
    »Meister – wenn ich Euch fortan so nennen darf –, warum habt Ihr Bruder Martinus nach dem toten Priester befragt?«
    Der Trab seines Pferdes ließ die zurückgeschlagene Kapuze des Doktors auf und nieder wippen. Er blickte starr geradeaus, als könnten seine Augen durch die Mauer des Waldes hindurchblicken, nach Süden, in freundlichere Landen.
    Schließlich erwiderte er: »Ich wollte wissen, ob es einen Grund für die Mordbrenner gab, den Pfaffen zu töten. Dafür aber mußte ich mehr über sein Leben erfahren, mehr über seine Vergangenheit.«
    »Und?« fragte ich weiter. »Wißt Ihr nun mehr?«
    »Du hast es doch selbst gehört, Wagner, der Priester war ein gescheiter, weltgewandter Mann.«
    »Aber das reicht nicht aus, um mehr über seinen Tod herauszufinden«, widersprach ich.
    »So, glaubst du? Nun, wie wäre es dann mit dem Hinweis, daß er einst im Ausland lebte?« Das Frage-Antwort-Spiel schien ihn zu belustigen.
    Ich hob schweigend die Schultern und wich einem tiefhängenden Fichtenzweig aus.
    »Warten wir ab«, sagte Faustus. »Es mag die Zeit kommen, da uns dieser Hinweis und manch anderer ein Bild der Wahrheit vermitteln wird.«
    »Ich nahm an, Ihr wolltet dem Inquisitor gerade deshalb entkommen, um ihn nicht in dieser Sache unterstützen zu müssen?« Die Beharrlichkeit meines Meisters erstaunte mich. Wozu das alles?
    Faustus schüttelte den Kopf. »Ich werde keinen Finger krümmen, um Asendorf zu helfen. Doch was spricht dagegen, herauszufinden, was mit diesem und den anderen Priestern geschah?«
    »Über die Ihr alle nichts wißt«, wagte ich einzuwenden und erwartete sogleich eine Schelte.
    Doch Faustus verzichtete darauf, mich zu maßregeln. Vielleicht gefiel es ihm gar, daß da einer war, der ihm trotzte. »Noch, mein guter Wagner, noch weiß ich nichts darüber.«
    »Dann wollt Ihr die Sache wirklich weiterverfolgen?«
    »Hast du etwas Besseres vor?«
    Das hatte ich in der Tat, wenngleich ich mich nicht getraute, es laut auszusprechen: Ich wollte von Faustus lernen, in Laboratorium und Lesesaal. Keineswegs stand mir der Sinn danach, ihm als Handlanger bei solcherlei Unsinn zur Seite zu stehen.
    Faustus schien in meinem Innersten zu lesen: »Du solltest dich mit dem Gedanken vertraut machen, daß eine Lehre bei mir nicht damit getan ist, sich die Nase mit dem Staub alter Bücher zu pudern. Siehst du hier irgendwo eine Bibliothek? Oder auch nur ein Bücherregal? Eben, mein Bester. Ein Studiosus unter Doktor Faustus lernt sein Geschäft mit den Händen im Schmutz, beim Pflücken von Wunderwurzeln und in der Walpurgisnacht hoch auf dem Blocksberg. Die brave Zeit des Sitzens ist vorbei. Von heute an wirst du die wahren Geheimnisse erlernen, jene, die in keinem Folianten geschrieben stehen – zumindest nicht in solchen, wie du sie aus Wittenberg kennst. Sei bereit für Neues, Wagner, und sei in Teufelsnamen offen.«
    Seine Worte waren nicht ohne Wirkung, wenngleich sie mich ein wenig kränkten. Ich war keiner, dessen Füße unterm Studienpult verstaubten, von morgens bis abends, sommers wie winters. Hatte ich ihm nicht meine Tatkraft bewiesen? War nicht ich es gewesen, dem er sein Leben verdankte?
    »Das weiß ich alles«, sagte er, ohne daß ich meine Gedanken in Worte gefaßt hätte. Herrgott, konnte er wahrlich in meinen Schädel blicken? »Du besitzt Wagemut und ein gewisses Geschick«, fuhr er fort, obgleich ihm mein Erschrecken kaum entgangen sein konnte. »Das waren die Voraussetzungen, aufgrund derer ich dich in meine Dienste nahm. Nun aber gilt es, dich auch für die höheren Dinge als tauglich zu erweisen. Nicht allein Witz ist gefragt, sondern Weisheit.«
    Daraufhin schwieg ich und tat wohl auch gut

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