Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
fragte mein Meister.
»Friedbert«, entgegnete der Mann, lehnte sich zurück und nahm vom Nachbartisch, an dem zuvor die Bauern gesessen hatten, seinen halbvollen Bierhumpen.
Faustus schob sich ein großes Stück Käse in den Mund und sagte kauend: »Sicher erhofft Ihr Euch von zwei Durchreisenden Neuigkeiten aus der weiten Welt.« Tatsächlich war es üblich, daß man als Gast von dem berichtete, was man an kleinen und großen Ereignissen auf seinem Weg geschaut hatte. In abgelegenen Landstrichen wie diesem war das für die Einheimischen die einzige Möglichkeit, zu erfahren, was im übrigen Reich vor sich ging.
Der Müller lächelte und nahm einen Schluck von seinem Bier. »Schön wär’s, wenn Ihr Neues zu erzählen wüßtet, Bruder Martinus. Hier bei uns tut sich so wenig, daß man ganz krank wird vor Einsamkeit.«
»Ich fürchte leider, ich muß Euch enttäuschen«, sagte Faustus. »Wir erfahren selbst nur wenig von dem, was außerhalb unserer Klostermauern geschieht. Und auf dem Weg läßt uns das Gebet wenig Zeit, nach rechts und links zu schauen.«
Die scheinbare Leichtigkeit, mit der er dem armen Tropf die Hucke voll log, stimmte mich ärgerlich. Zugleich aber wußte ich natürlich, daß uns keine Wahl blieb. So verlockend es auch war, dem einsamen Müller ein Stück der Wahrheit zu offenbaren und ihm so als Dank für seine Gastfreundschaft eine Freude zu bereiten, so gefährlich war es auch. Faustus hatte vollkommen recht: Kein Unbeteiligter durfte in diese Sache gezogen werden. Unsere Feinde waren keine Räuber und Banditen; nein, wir flohen vor den Schergen der Kirche, und nirgends war deren Macht so groß wie unter der unbedarften Landbevölkerung.
Der Müller verzog traurig den Mund, zuckte aber dann mit den Schultern. »Vieles weiß ich ohnehin schon von den Gauklern, die gestern bei mir haltmachten.«
»Gaukler?« fragte Faustus scheinbar gleichgültig, doch ich bemerkte am Zucken seiner Brauen, daß er hellhörig wurde.
Friedbert nickte gefällig. »Ein Wanderzirkus. Lagert unten im Dorf. Nur eine kleine Truppe, doch was für eine, sage ich Euch!«
»Erzählt«, bat mein Meister und grub die Zähne tief ins Brot.
So erfuhren wir, daß am gestrigen Tag vier bunte Planwagen vor der Mühle gehalten hatten. Herunter sprang eine Horde ungewöhnlicher Gesellen, Männer wie Frauen. »Lieber Himmel, die hättet Ihr sehen müssen«, schwärmte Friedbert begeistert. »Da war ein Weib mit einem Bart, der ihr bis über die Titten – verzeiht, Bruder – bis zum Bauchnabel reichte. Ein anderer hatte drei Arme und nur ein einziges Auge auf der Stirn. Geschaudert hab ich, als ich das sah, Gott ist mein Zeuge! Dann waren da zwei junge Weibsbilder, die an den Leibern zusammengewachsen waren, genau hier…« Er stand auf und zeigte auf sein breites Gesäß. »Ein Mann war so dünn wie ein Gerippe, aber gesoffen hat er wie ein Brotbäckerknecht. Hat ’ne Menge Münzen springen lassen. Und sein Weib hättet Ihr sehen sollen, dreimal so fett wie ich selbst. Himmelherrgott, zwei Kerle haben sie aus dem Wagen heben müssen. Fast blieb sie in meinem Eingang stecken! Es waren auch viele Normale dabei, sahen aus wie ich und Ihr. Feuerschlucker und Musikanten, denk’ ich mal. Hatten auch ’ne Tänzerin dabei, ein ganz junges Ding, zart wie eine Waldelfe, aber das war eher ein trauriger Anblick: Die Kleine hatte wohl ’nen Unfall. Mußte eine Ledermaske tragen, überm ganzen Kopf. Hat sich irgendwo das Gesicht verbrannt, hat mir der Dürre erzählt.«
Faustus und ich hatten dem erregten Vortrag des Müllers höflich und mit gelinder Neugier zugehört, doch man mag sich vorstellen, daß wir bei seinen letzten Sätzen fast am Brot erstickten. Wir wechselten einen hastigen Blick; ich war stolz darauf, daß wir beide den gleichen Gedanken hatten. Ein Mädchen mit verbranntem Gesicht! Sicher, es mochte Zufall sein, doch lag es nicht nahe, an ein ganz bestimmtes Mädchen zu denken? An jenes, dessen Kopfwickel sich bei der Flucht aus der brennenden Kirche entzündet hatten? Jenes Mädchen, das Faustus vom Scheiterhaufen befreit hatte?
(Nun kann ich ahnen, daß Ihr, strenger Leser, mir soviel Willkür des Schicksals schwerlich abnehmen mögt. Und Ihr habt recht: Auch ich selbst vermochte kaum an eine solche Fügung zu glauben. Doch war es in Anbetracht der Umstände nicht mehr als recht und billig, Näheres über jenen Wanderzirkus erfahren zu wollen? Haltet also Eure Häme im Zaum, bis Ihr die Hintergründe
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