Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
daran, denn Faustus trieb sein Pferd plötzlich zur Eile, galoppierte bis zur nächsten Biegung und blieb dort stehen. Aufmerksam schien er in die Wälder zu lauschen.
Ich blieb eine Weile zurück, um ihn nicht zu stören, dann schloß ich auf. Noch immer wagte ich nicht zu sprechen.
Ein Knirschen und Knarren zerriß die Stille, ein langgezogener, jammervoller Laut wie von berstendem Holz. Vor meinen Augen erstand das dämonische Bild eines Riesen, der sich mit Pranken und Füßen einen Weg durch die Wälder bahnte. Fauchend und zornig trampelte der Gigant eine Schneise ins friedliche Grün. Vögel stoben auf und stiegen flatternd gen Himmel. Baumstämme knickten wie Grashalme.
Und tatsächlich illustrierte mein Hirngespinst das andauernde Knirschen aufs Trefflichste. Ich zweifelte nicht, daß ich mit meiner Ahnung richtig lag. Wir hatten einen der Geister des Waldes geweckt. Nun kam er, um grausame Rache zu nehmen.
Faustus trieb sein Tier weiter vorwärts. Ich wollte ihn zurückhalten, wagte aber nicht, mich als Feigling zu erweisen. So ritt ich todesmutig hinter ihm drein, verkrampft vom Kinn bis zur Sohle, bebend und bereit, mit meinem Leben abzuschließen.
(Euch, kopfschüttelnder Leser, sei versichert, daß auch ich gelernt habe, daß es weder Riesen noch Waldgeister gibt. Aber bedenkt meine angstvolle Lage: Hinter uns der sichere Tod in Gestalt der Heiligen Inquisition, um uns das unerforschte Waldland, und vor uns eine Quelle übler Laute. Bedenkt gefälligst Eure eigene Verfassung in solch einem Augenblick, ehe Ihr die meine verurteilt!)
Langsam ritten wir weiter den Waldpfad entlang. Ich mühte mich, einen heimlichen Blick in Faustus’ Gesicht zu werfen, doch er befand sich vor mir, und sein schwarzer Haarwust machte es unmöglich, seine Züge zu erkennen. Das Geräusch hielt an, es knirschte ohne Unterlaß. Und je weiter wir ritten, desto lauter wurde es.
Die Sonne hatte fast ihren höchsten Stand erreicht. Sie tauchte den geschlängelten Weg zwischen den Bäumen in helles Frühlingslicht. Ihr gleißender Schein verdrängte meine Verzweiflung ein wenig. Ich hob das Gesicht, um es von dem feurigen Glutball erwärmen zu lassen. Schon spürte ich, wie meine furchtsame Anspannung nachließ. Funken tanzten hinter meinen geschlossenen Lidern. Die Wärme prickelte wohlig auf meiner Haut.
Plötzlich war mir, als schiebe sich etwas vor die Sonne. Ein kühler Schatten huschte über mein Gesicht. Als ich die Augen öffnete, waren sie von der Helligkeit betäubt, und einen panischen Moment lang war ich völlig geblendet. Erst als sich meine Blicke klärten, erkannte ich, daß die Sonne unverändert am blauen Himmel hing. Auch Faustus verriet keine Sorge. Hatte ich mich getäuscht?
Keineswegs, denn im selben Augenblick verdunkelte erneut ein mächtiger Schatten das glühende Gestirn. Hoch erhob er sich über die Wipfel der Bäume, lang und schwarz, seine Form von den gleißenden Strahlen verzerrt. Erschrocken keuchte ich auf und riß mit aller Kraft am Zügel des Pferdes. Wiehernd bäumte es sich auf, ich spürte noch, wie ich den Halt verlor, dann stürzte ich hinterrücks ins Leere und prallte schmerzhaft auf den Waldweg. Wie betäubt taumelte ich auf die Füße, hörte erneut das furchtbare Knirschen, sah mich um – und erblickte Faustus, der sich schüttelte vor Lachen.
»Was, mein lieber Wagner, bezweckt Ihr mit dieser amüsanten Darbietung, wenn die Frage gestattet ist?« Sein Gesicht hatte zum ersten Mal einen Hauch von Farbe bekommen, so sehr belustigte ihn mein Sturz vom Pferd.
»Ich… nun…« Weiter kam ich nicht, denn wieder schob sich ein Schatten über den Weg und verdunkelte die Sonne.
Nun erkannte ich freilich, was ihn verursachte. Vor uns, auf einer Erhebung im Wald, stand eine Mühle. Sie war von hier aus nicht zu sehen, doch ragten ihre Flügel über die Bäume hinaus, und bei jeder Drehung schoben sich ihre Enden nacheinander vor die Sonne. Von ihnen rührte auch das erbärmliche Knirschen, denn der Wind ließ die hölzernen Gewinde ächzen.
Kleinlaut enthielt ich mich jeder Erklärung, packte mein Pferd am Zügel und schwang mich stumm zurück in den Sattel. Mein Hintern schmerzte, ebenso mein Rücken, doch gab ich mir alle Mühe, mein Leid zu überspielen. Ein schöner Zauberlehrling war ich; witterte ich doch schon hinter den Flügeln einer Mühle magische Gefahren.
Griesgrämig kauerte ich im Sattel und blickte starr auf Faustus, der nun wieder vor mir ritt und gelegentlich
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