Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
es gar über sich, einigen Mägden ein galantes Lächeln zu schenken. Himmel, er verstand es wirklich, sich in Szene zu setzen!
Da aber entdeckte er mich, und für einen kurzen Augenblick fiel seine Maskerade in sich zusammen. Pure Verzweiflung stand ihm mit einem Mal ins Gesicht geschrieben. Es währte nicht lange, da glättete sich die Oberfläche seiner selbstbewußten Erscheinung wieder, doch der Moment hatte ausgereicht, um mich erkennen zu lassen, wie es wirklich in ihm aussah. Dabei glaubte ich nicht einmal, daß er allzusehr um sich selbst fürchtete; doch daß nun auch ich – sein schutzbefohlener Schüler – in die Hände der Inquisition gefallen war, schien ihn mehr als alles andere zu bekümmern.
Man führte ihn ebenfalls durchs Tor, wo er mit den übrigen aus meinem Blickfeld verschwand. Dann traten plötzlich zwei Landsknechte vor und befreiten mich aus meinen Ketten. Mit groben Stricken fesselten sie mir die Hände auf den Rücken und trieben mich mit Stößen und Tritten hinter Faustus, dem Kardinal und Asendorf her.
Als ich den Nordhof betrat, stand dort bereits ein offener Pferdewagen bereit, auf dem man notdürftig zwei Pfähle aufgestellt hatte. Soeben wurde Faustus an einen davon gebunden, mit dem Rücken zum Kutscher. Ich selbst wurde ebenfalls dort hinaufgetrieben und an den anderen Pfahl gefesselt, so daß mein Meister und ich uns im Abstand von zwei Schritten von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Mit uns setzten sich zwei Soldaten auf den Wagen.
Asendorf, DeAriel und ihr Gefolge bestiegen die Pferde, lenkten sie zwischen den übrigen Tieren hindurch, die notgedrungen noch immer auf dem Hofe standen, und ritten über die Zugbrücke zum Burgtor hinaus. Unser Wagen folgte ihnen. Den Abschluß der Prozession bildete ein weiterer Trupp von Landsknechten.
Es gab keinen Zweifel mehr, daß man uns hinab nach Eisenach bringen würde. Die Scheiterhaufen standen bereit.
Als der Wagen durchs Tor rumpelte, gelang es mir, einen Blick auf den Burghauptmann zu erhaschen. Berlepsch stand am Fenster seiner Vogtei und starrte uns mit leerem Blick hinterher. Was geschah und noch geschehen würde, war nicht seine Schuld. Ich zweifelte nicht, daß Kardinal und Hexenjäger all ihre kirchliche Macht aufgeboten hatten, um sich gegen den Hauptmann durchzusetzen. Ihr Glück war, daß der Kurfürst nicht persönlich auf der Wartburg weilte; Friedrich hätte ihre Pläne durchkreuzt. Berlepschs Macht allein aber reichte dazu nicht aus. Hätte ich keine anderen Sorgen gehabt, so hätte er mir leid getan.
»Die anderen sind in Sicherheit«, zischte ich Faustus zu, als wir die Rampe herabrollten.
Sofort gab mir einer der Landsknechte einen heftigen Stoß in den Magen. »Halt’s Maul!« fuhr er mich an.
Faustus nickte mir zu. »Das hast du gut gemacht.«
Der Soldat fuhr herum und starrte Faustus finster ins Gesicht. »Bist du taub, Ketzer?«
Einen Moment lang verhärtete sich der Blick meines Meisters, als er wieder einmal den Versuch unternahm, einem anderen seinen Willen aufzuzwingen. Doch wie so oft mißlang es auch diesmal.
Der Landsknecht wandte sich mit einem Kopfschütteln ab und setzte sich neben seinen Gefährten auf den Rand des Wagens. Die Straße durch den Wald war alles andere als ebenmäßig, und beide hatten Mühe, sich an der Holzkante festzuhalten.
Meine Sicht war durch die Fesselung am Pfahl auf das beschränkt, was vor uns lag, während Faustus nur an mir vorbei nach hinten und zur Burg hinaufsehen konnte. Ich blickte auf Asendorf und DeAriel, die sich leise miteinander unterhielten. Der Bibelzwerg saß freihändig auf seinem Pony und las wie üblich aus der Heiligen Schrift. Asendorf gab ihm schon nach kurzer Zeit einen Wink, so daß sich der Zwerg in seiner Litanei auf lautlose Mundbewegungen beschränkte. Er las weiter, doch kein Wort drang über seine Lippen.
Wieder gingen mir tausend Fragen durch den Kopf. Welche Rolle spielte Kardinal DeAriel wirklich? Sicher, er war vom Vatikan beauftragt und hatte fraglos den Oberbefehl über die Engel des toten Borgia. Diese aber hielten sich im Wald versteckt. Daher bestand kein Zweifel, daß ihr Handeln, ja selbst ihre Anwesenheit streng geheim gehalten wurden.
Und hatte Asendorf meinen Meister in Wittenberg nicht um Hilfe im Fall der verbrannten Priester ersucht? Wenn aber doch der Vatikan hinter den Anschlägen steckte, warum gab der Inquisitor sich dann solche Mühe, die Täter aufzudecken?
Darauf konnte es nur eine einzige Antwort
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