Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
für ein neues Leben, in mir zirkulierten im Moment wohl so viele Glückshormone, dass ich mir quasi selbst zur Droge wurde und vorerst nicht den geringsten Gedanken an alte Gewohnheiten und mein geliebtes Nikotin verschwendete. Es mag verwundern, aber ich erinnere mich nicht, so etwas wie Entzugserscheinungen verspürt zu haben.
Nach dem Essen machte ich es mir in gespannter Erwartung des weiteren Geschehens mit einem Glas Wein vor dem Fernseher bequem. Da ich alleine lebte, konnte ich mich in diesen heiklen ersten Stunden ausschließlich mir selbst widmen, musste aber auch die Kontrolle meines Tuns übernehmen und beobachtete mich daher mit Argusaugen. Solange ich aß und trank, war die Gefahr, einen Rückfall zu erleiden gleich Null – was aber nun?
Ich horchte in mich hinein, hörte aber nichts. Es tat sich auch nichts. Die Zeit verging, ich rauchte nicht. Vielmehr zählte ich gelassen die Stunden seit meinem heroischen Entschluss und atmete bereits etwas freier, wie mir schien.
Ein wunderbar romantischer Fernsehfilm voll tiefer, edler Gefühle entführte mich in eine zauberhafte Landschaft und lenkte mich auf angenehme Weise von diesem nass-kalten Novembertag und meiner eigenen Vergangenheit ab. Als die beiden Protagonisten einander in einem erlösenden Happy End in die Arme fielen, war ich gerade sieben Stunden rauchfrei. Ich gönnte mir noch ein Gläschen Wein und war irgendwie stolz auf mich. Dann zappte ich eine Weile durch die Kanäle, blätterte in einem Buch, trödelte herum und beendete den Tag gegen Mitternacht vor dem Spiegel.
Du schaffst das! sagte ich mir ein letztes Mal an diesem Abend. Garantiert!
Nie wieder Nikotin!
Kalter Rauch
Am nächsten Morgen, nach einer ruhigen Nacht, die ich wohl hauptsächlich meinem Lieblingsrotwein verdankte, war das erste, was ich von der Welt wahrnahm, ein ekeliger Geruch nach kaltem Rauch, der sogar mein Schlafzimmer befallen hatte, obwohl dieses selbst zu den Zeiten meiner heftigsten Nikotinlust als Betätigungsfeld stets tabu gewesen war. Mein irritiertes, heute besonders sensibles Riechorgan trieb mich ungewohnt früh aus dem Bett, um so rasch wie möglich den Grad der Belästigung meiner nach frischer Luft lechzenden Lungen zu erschnuppern.
Die Bilanz fiel katastrophal aus. Es stank! Es stank erbärmlich, und zwar überall. Meine ganze Wohnung stank, es war nicht zu fassen. Die Rückstände meiner großen Liebe hatten alles verseucht, was imstande war, Gerüche aufzunehmen, besonders die Vorhänge, die Bücher, die Kleider und sogar die in einer gut schließenden Schublade verstaute, laut aktueller Waschmittelwerbung blütenfrisch gewaschene Unterwäsche.
Ich griff nach dem Pullover, den ich gestern getragen hatte, und steckte meine Nase in das weiche Gewebe. Gestern hatte er nach Wolle gerochen, heute stank er nach Rauch. Ich war wohl bisher gar nicht fähig gewesen, das Ausmaß des von mir selbst ausgelösten Desasters zu riechen. Jetzt verstand ich auch, warum Nichttaucher immer öfter einen großen Bogen um mich machten, und warum mir erst unlängst eine Schülerin, der ich eine zu Hause korrigierte Arbeit aushändigte, keck erklärte: „Der Test stinkt nach Rauch!“
Das musste sich ändern, davon war ich mehr denn je überzeugt und flüchtete ins Bad, wo ich unter Verwendung einer Extradosis Duschgel an mir zu rubbeln und zu schrubben begann, bis ich nicht mehr nur vor Wut schäumte. Es war ja auch wirklich empörend. Da war ich nun schon … Moment mal … dreizehn, nein, fünfzehn, eigentlich fast schon sechzehn Stunden rauchfrei und rund um mich stank es wie eh und je, wenn nicht noch ärger. Mich ekelte es so sehr, dass mir jegliche Lust verging, noch einmal an solch einer Stinkbombe zu saugen.
Rundum frisch duftend – wenigstens ich roch jetzt gut! – übersiedelte ich in die Küche, aus der mir schon ein sehr verführerischer Kaffeegeruch entgegenwehte. Dankbar genoss ich das heiße, belebende Getränk, das mir heute besonders gut schmeckte. Ein uralter Reflex erinnerte mich prompt an das so lange zelebrierte morgendliche Ritual: eine Zigarette zum Kaffee!
Ganz sicher nicht! Nie wieder!
Ich weiß nicht warum, aber die Stimme der Vernunft erwies sich als erstaunlich stark. Nie wieder! Nie wieder Nikotin!
Während ich etwas später vor dem Spiegel einen letzten Blick auf mein Outfit warf, wiederholte ich mehrmals meine Zauberformel und verließ dann eilig das Haus, denn nun ging es darum, Schüler und Kollegen zu beeindrucken und das
Weitere Kostenlose Bücher