Die Niete Im Bett
seinen Bruder geheiratet hat.
Nein. Da muss ich jetzt durch.
Jetzt.
Und dann drücke ich auf den Klingelknopf. Fast hätte ich einmal lang, zweimal kurz gedrückt, das war noch bis vor Kurzem Sarahs und mein Erkennungszeichen, aber ich will nicht, dass sie weiß, dass ich es bin, und eventuell nicht öffnet. Diese Schmach wäre undenkbar. Also klingel ich nur einmal kurz.
Zwei Sekunden später geht der Türsummer, ich gehe langsam die Treppe hinauf und bereite mich schon auf einen Rausschmiss vor. Mir fällt ein, dass ich Sarah irgendwas hätte mitbringen können, Blumen vielleicht oder ein Stück Obst.
Quatsch. Doch kein Obst. Sarah liegt ja nicht im Krankenhaus. Ich bin total durcheinander.
Da steht sie, leicht gebräunt und hübsch wie immer.
»Hallo, Sarah.« Ich bleibe vor ihrer Wohnungstür stehen und warte. Aus ihrer Wohnung kommt der vertraute Geruch nach Lampenöl mit Orangenduft. Sarah benutzt immer diese Duftrichtung.
»Leo.« Sie schaut mich an.
»Du siehst gut aus, schön braun.« Warum sage ich das?
»Ich weiß. Ich gehe ja regelmäßig ins Solarium. Was möchtest du denn, Leo?«
»Ich würde gern mit dir reden.«
Sie zögert. »Warum?«, fragt sie dann leise.
»Ich glaube, es gibt ein paar Missverständnisse aufzuklären.«
»Inwiefern?« Sie verschränkt die Arme.
»Kann ich nicht mal kurz reinkommen?«
»Ich dachte, es sei Nils.« Sie macht keine Anstalten, mich reinzulassen. Ich stehe da mit hängenden Schultern wie ein erfolgloser Staubsaugervertreter.
»Seid ihr denn wieder zusammen?«, frage ich fast panisch.
»Nein, noch nicht. Aber es sieht gut aus.«
»Ach.«
»Ja.«
»Kann ich denn kurz reinkommen? Im Treppenhaus diskutiert es sich schlecht.«
»Es gibt nichts zu diskutieren, Leo.« Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Aber von mir aus komm halt rein.« Sie tritt ein Stück zur Seite, aber nur so weit, dass ich mich an ihr vorbeiquetschen muss.
Ich gehe ins Wohnzimmer und sehe mich um. Da stehen gerahmte Fotos von Nils, mal mit Sarah im Arm, mal ohne. Nils auf dem Surfbrett, das ist älter, da sieht er jünger aus, Nils und Sarah Zuckerwatte essend auf dem Hamburger Dom, das muss kürzlich aufgenommen worden sein, Nils und Sarah in Anzug und Abendkleid auf irgendeinem Fest … In der kurzen Zeit, in der die beiden zusammen sind, haben sie ja schon ganz schön viel unternommen. Das ging ja alles ruck zuck!
Von mir hatte Sarah nie auch nur ein einziges Bild aufgestellt, obwohl ich ihr welche gegeben hatte.
»Schöne Fotos«, sage ich dümmlich.
Sie setzt sich.
»Die Sache ist die«, beginne ich und mache eine Pause, um mich zu räuspern, »also, die Sache ist die, dass ich mich geändert habe.«
»Ach? Wie darf man das verstehen?« Nun setze ich mich auch, obwohl sie mich gar nicht dazu aufgefordert hat.
»Ich bin jetzt keine Niete mehr im Bett«, platze ich heraus. »Das wollte ich dir sagen. Und das will ich dir gern beweisen.«
Sarah steht auf, geht zum Fenster und gibt schniefende Geräusche von sich. Herrje, sie soll doch nicht weinen!
»He«, ich gehe zu ihr und lege ihr sanft die Hand auf die Schulter, »jetzt wird alles wieder gut. Versprochen.«
Sarah dreht sich zu mir um.
Sie weint nicht.
Sarah lacht.
Mia
Wenn ich nicht wüsste, dass das hier eine Gefängniszelle ist, könnte ich mich vorübergehend mit der harten Pritsche und dem Klo ohne Deckel arrangieren. Auch mit den Wänden, die mit Fäkalsprüchen vollgekritzelt sind. Inge is ne doofe Fodse. − Legal, illegal, scheißegal. − Hockst du noch odä sitz du schon? Superkreativ! Und dann, wie im Film, hat jemand Striche an die Wand gemalt, den fünften jeweils quer. Oh Hilfe. Wenn ich richtig rechne, muss dieser arme Mensch hunderteinundzwanzig Tage hier drin verbracht haben. Mir reichen ja schon ein paar Stunden.
Wie man sich wohl fühlt, wenn man unschuldig zu lebenslanger Haft verurteilt wurde? Was ist denn das für eine bescheuerte Frage? Der Sauerstoff wird scheinbar wirklich langsam knapp. Natürlich fühlt man sich da total super und kann es kaum erwarten, in eine Einzelzelle gesperrt zu werden.
Ich schließe die Augen und muss schon wieder an Leonhard denken. Ach, diese Nacht. Sie war so schön. Und so … scharf, so geil, so hemmungslos. Sie war einfach alles. In Leonhards Nähe konnte ich mich gehen lassen wie noch bei keinem anderen Mann vorher. Vielleicht weil wir uns so vertraut sind. Beste Freunde eben. Ich hoffe so sehr, dass diese Nacht unsere Freundschaft nicht kaputt macht.
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