Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
Schutzherr der Schwangeren, es so will«, antwortete der Zwerg. »Sie müssen zusammenbleiben.«
»Schwanger?«, fragten die gleichen zwei Dutzend Kehlen wie aus einem Mund, Schnabel, Maul, Rachen oder wie immer man die Öffnung nennen wollte, mit der sie sich artikulierten.
»Genau, schwanger. Deshalb bin auch ich, Thoeris, die Schutzherrin der Schwangeren, dafür, dass Vater und Mutter zusammenbleiben. Zumindest bis das göttliche Kind geboren ist.«
Thoeris war eine der bizarrsten Göttinnen des an abstrusen Gestalten wahrlich nicht armen ägyptischen Pantheons. Sie war ein Mischwesen aus Nilpferd und dicker Frau mit Riesenbrüsten, Löwentatzen und einem Krokodilschwanz. Ihr Einfluss verhielt sich proportional zu ihrem monströsen Aussehen; überall wo Nil war und es Schwangerschaften gab, war ihr Machtbereich. Also in ganz Ägypten.
Bes, der Zwerg mit dem maskenhaften Gesicht, der Federkrone, Löwenmähne und dem immer sichtbaren Penis, stand neben Thoeris, und die beiden strahlten eine Einigkeit aus, wie sie unter Göttern selten vorkam.
Amun wurde nervös. Die menschengestaltigen Götter waren sowieso in der Minderzahl, sowohl in Ägypten als auch in dieser Versammlung. Außer ihm konnte er zu dieser Gruppierung nur den Kriegsgott Neith, einen Freund von Suchos, rechnen. Dazu Satis, die nicht nur auf geistiger Ebene mit dem widderköpfigen Chnum verbunden war, der stets vom blutroten finalen Sonnenuntergang träumte, und Min, den regionalen Obergott ihres Versammlungsortes. Die »Animalischen«, wie Amun sie nannte, waren eindeutig in der Überzahl, und so war absolute Vorsicht geboten, um nicht einen weiteren Götterzwist vom Zaun zu brechen.
»Ihr seid also gegen eine Trennung der beiden?«, fragte Amun zaghaft.
»Absolut!«, tönte es aus der unbewegten Maske des Bes.
»Absolut!«, sagte das Nilpferdmaul von Thoeris.
»Und auf welcher Grundlage steht eure Forderung?«, wollte Amun wissen.
»Göttliches Urrecht. Verabschiedet vor Einsetzung der ersten Dynastie. Das Recht ist so alt, wie die Wasser des Nils von der Quelle zur Mündung fließen. Und ebenso unumstößlich«, verkündete der Zwerg mit stets grinsendem Gesicht.
»Das war es dann wohl«, sagte Anubis schulterzuckend. »Wir können uns jede weitere Diskussion sparen. Die Sache ist entschieden. Die Menschen werden sich freuen, dass sie zu ihrem prachtvollen Stier auch noch eine ebenso prächtige wie trächtige Kuh bekommen.«
Anubis dachte nicht daran, seinen Hang zum Sarkasmus zu verstecken.
Amun schüttelte den Kopf. Alles lief ganz anders, als er es geplant hatte. Eigentlich war von seinem Plan nichts mehr übrig, außer dass Apis die Aufgabe hatte, das Ankh zurückzuholen. Er starrte in die Nacht, dorthin, wo sich die Tajarim längst wieder zur Ruhe begeben hatten, Manchmal kommt es anders, als selbst die Götter denken, sagte er zu sich. Und nur zu sich. Die Versammlung war beendet.
Nach einer ebenso schweigsamen wie anstrengenden Woche erreichten die Tajarim Abydos, das früher Abdju geheißen hatte. Der Marsch war von drei Ereignissen geprägt. Das erste war die Überraschung, dass nach der furchtbaren Nacht in der Karawanserei in Melmaks Pferch ein neues Tier stand: eine prachtvolle Kuh, fast so groß wie ein normaler Stier, mit seidig glänzendem Fell und kraftvoller Ausstrahlung. Nach dieser Nacht wollte keiner genau wissen, wie das Tier in Melmaks Gehege gekommen war, am wenigsten Melmak selbst.
Das zweite Ereignis war ein Streit zwischen Zerberuh und Barsil, dem Händler. Er hatte dem Nilschiffer ohne Schiff eine Statuette seiner Lieblingsgöttin Thoeris angeboten. Zerberuh erkannte in der Figur jenes Exemplar, das bis zum Beben von Theben sein Haus geziert und geschützt hatte, aber im Trubel des Bootsverkaufs und der Abreise verloren gegangen war. Barsil schwor bei allen Göttern, dass er rechtmäßig durch den Kauf von einem Mitglied der Palastwache in den Besitz der Statuette gelangt sei. Zerberuh zeigte ihm daraufhin eine geheime Markierung auf der Unterseite der Figur, die von ihm persönlich stammte. Barsil wollte dann zwar das Geschäft abbrechen, doch Zerberuh bestand auf Rückgabe seines Eigentums. Pinhas, der Weber, und Punhas, der Schneider, mischten sich zum Glück ein, bevor Zerberuh den unglückseligen Barsil mit einem Strick um den Hals an seinem vierachsigen Boot festbinden konnte. Sie machten Barsil klar, dass die einzige Chance, seinen Hals zu retten, darin lag, die Statuette der Thoeris an den
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