Die Operation
Verdacht gehabt«, gab Stephanie zu. »So wie ich auch schon bei meinem Vater den einen oder anderen Verdacht gehabt habe. Und Tony hat im Wesentlichen seine Geschäfte übernommen.«
»Was sind das denn für Geschäfte?«
»Ein Immobilienhandel und ein paar Restaurants, dazu noch ein Cafe in der Hanover Street.«
»Ist das alles?«
»Genau das weiß ich ja nicht. Wie gesagt, den einen oder anderen Verdacht habe ich schon gehabt, wenn zum Beispiel zu jeder Tages-und Nachtzeit irgendwelche Leute bei uns zu Hause aufgetaucht sind und wenn die Frauen und Kinder nach einem ausgedehnten Essen aus dem Zimmer geschickt wurden, damit die Männer sich unterhalten konnten. Im Rückblick kommt es mir so vor, als hätten wir in vielerlei Hinsicht genau dem Klischee der italo-amerikanischen Mafiafamilie entsprochen. Natürlich nicht in den Dimensionen, die man in irgendwelchen Gangsterfilmen zu sehen bekommt, aber doch ziemlich ähnlich. Wir weiblichen Wesen sollten uns um nichts weiter kümmern als um Haushalt und Kirche, ohne irgendetwas mit dem Geschäft zu tun haben zu wollen. Ich habe mich immer geschämt, weil wir Kinder in unserem Wohnviertel nie so richtig integriert waren. Ich konnte es kaum abwarten, bis ich endlich zu Hause ausziehen konnte, und ich war schlau genug, um zu erkennen, dass gute Leistungen in der Schule die beste Möglichkeit waren.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Daniel. Auch aus seiner Stimme war die Schärfe verschwunden. »Mein Vater hat seine Finger auch in allen möglichen Geschäften gehabt, zum Teil an der Grenze der Legalität. Das Problem war allerdings, dass sie allesamt fehlgeschlagen sind. Und so ist er - und mit der Zeit auch meine Geschwister und ich - zum Gespött der Leute in Revere geworden, besonders an der Schule und natürlich vor allem, wenn man nicht zur Führungsclique gehört hat, was bei mir garantiert nie der Fall war. Mein Vater wurde ›Loser Lowell‹ genannt, und leider hat der Spitzname irgendwie abgefärbt.«
»Bei mir war es genau andersherum«, sagte Stephanie. »Wir wurden mit einem gewissen Respekt behandelt, und das war auch unangenehm. Als Jugendliche will man doch am liebsten irgendwo dazugehören. Na ja, aber irgendwie hat das bei mir nicht geklappt, und ich wusste nicht einmal, wieso. Ich fand das schrecklich.«
»Wieso hast du mir denn nie davon erzählt?«
»Wieso hast du mir nie von deiner Familie erzählt, abgesehen von der Tatsache, dass du acht Geschwister hast, von denen ich kein einziges jemals kennen gelernt habe, wenn ich das noch hinzufügen darf? Zumindest habe ich dich öfter einmal nach deiner Familie gefragt.«
»Da ist was dran«, sagte Daniel unbestimmt. Sein Blick wanderte nach draußen, wo die Windböen ein paar einsame Schneeflocken herumwirbelten. Er kannte die Antwort auf Stephanies Frage: Weil ihre Familie ihn genauso wenig interessiert hatte wie seine eigene. Er räusperte sich und wandte sich ihr wieder zu. »Vielleicht haben wir nie über unsere Familien gesprochen, weil wir uns beide unserer Kindheit geschämt haben. Und zusätzlich waren wir vielleicht auch zu sehr mit unserer Arbeit und der Firmengründung beschäftigt.«
»Vielleicht«, sagte Stephanie, aber es klang nicht sehr überzeugt. Sie starrte durch die Windschutzscheibe nach vorne. »Es stimmt schon, die Wissenschaft war immer meine Fluchtmöglichkeit. Mein Vater war natürlich nie damit einverstanden, aber das hat mich nur noch sicherer gemacht. Verdammt, wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre ich nicht einmal aufs College gegangen. In seinen Augen war das reine Zeit-und Geldverschwendung. Er hat gesagt, dass ich sowieso heiraten und Kinder bekommen würde, als wäre die Zeit vor fünfzig Jahren stehen geblieben.«
»Meinem Vater war es richtiggehend peinlich, dass ich in den naturwissenschaftlichen Fächern gut war. Er hat überall herumerzählt, dass ich das von meiner Mutter haben müsste, so, als wäre es eine genetisch bedingte Krankheit.«
»Und deine Brüder und Schwestern? Haben sie das genauso gesehen?«
»Bis zu einem gewissen Grad schon, weil mein Vater so kleingeistig war, dass er uns die Schuld an seinem Versagen gegeben hat. Zum Beispiel, dass wir ihm das Geld aus der Tasche ziehen, das er eigentlich gebrauchen könnte, um die nächste gerade angesagte Geschäftsidee realisieren zu können. Meinen Brüdern ist es da zumindest während der Schulzeit ein bisschen besser ergangen, weil sie alle gute Sportler waren und mein Vater
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