Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
sollen?«
»Und warum sagt Cadvan nichts dazu?«, fuhr der hohnlächelnde Mann fort. »Ich würde gerne seine Geschichte hören.«
Endlich regte sich Cadvan. »Ich habe nichts gesagt, Usted, weil ich nicht dazu aufgefordert wurde«, erklärte er. »Wenn mein Wort und mein Wissen etwas zählen, kann ich mich für dieses Mädchen verbürgen. Ich bin überzeugt davon, dass sie diejenige ist, die sie zu sein behauptet.«
»Das ist ja alles schön und gut, Cadvan«, gab Usted zurück. »Aber selbst die Besten von uns können durch die Künste der Finsternis in die Irre geführt werden.« Cadvan seufzte. »Ich weiß, es ist eine Zeit der Furcht, aber wir sollten uns dennoch davor hüten, uns zu sehr zu fürchten und Verdacht zu schöpfen, wo Verdächtigungen sinnlos sind. Genau nach einer solchen Aushöhlung des Vertrauens trachtet die Finsternis, denn sie dient ihren Zwecken. Aber ich will euch meine Gründe dafür nennen, weshalb ich nicht an Maerads Geschichte zweifle.
Erstens habe ich sie befragt, und kein Teil dessen, was sie sagt, widerspricht etwas, das bereits bekannt ist. Zweitens habe ich gesehen, wo sie sich aufhielt und unter welchen Umständen - in Gilmans Feste. Es fällt mir keineswegs schwer zu glauben, dass von einem solchen Ort keinen Neuigkeiten nach draußen dringen. Drittens steht außer Frage, dass sie die Gabe besitzt, und es ist eine ungewöhnliche Gabe. Ihr alle kennt die Zeichen. Viertens habe ich sie ob meiner eigenen Zweifel um Erlaubnis gebeten, einen Seelenblick in sie werfen zu dürfen. Sie hat aus freiem Willen zugestimmt, und ich entdeckte bei meinem Seelenblick keine Mauern, keine unterdrückten oder vernarbten Erinnerungen, keine Spur auf jeglichen Umgang mit der Finsternis. Nur eine weitere Bestätigung dafür, dass wahr ist, was sie sagt.« »Aber wir alle haben sie letzte Nacht spielen sehen«, sagte Usted etwas verdrossen. »Wenn sie sich an einem solch finsteren Ort aufgehalten hat, wo soll sie dann so zu spielen gelernt haben? Denn auch wenn wir alle die Zeichen kennen, wir wissen ebenso, dass man nicht ohne Unterricht zu spielen lernt.« »In der Feste gab es einen Barden. Er hat es ihr beigebracht. Allerdings sonst nichts. In ihrem Wissen klaffen schwere Lücken, die wir schließen müssen, wenn wir die Dinge vorantreiben wollen. Sie beherrscht nicht einmal die Hohe Sprache.« »Sein Name war Mirlad«, warf Maerad unverhofft ein. »Er war ein guter Mann.« »Mirlad?«, meldete sich eine Frau zu Wort, die dem Gespräch bislang schweigend gelauscht hatte. »Vielleicht kannte ich ihn. Es gab mal einen Barden namens Mirlad in Desor. Er war ein begabter Musiker, wandte sich allerdings zum Schlechten, versuchte sich ein wenig an den Künsten der Finsternis und wurde der Schule verwiesen. Ich habe nie mehr etwas von ihm gehört.«
»Er war freundlich zu mir«, meinte Maerad traurig. »Wie auch immer, mittlerweile ist er tot.«
»Mir scheint, er wurde hinlänglich bestraft und wollte vielleicht seine Schuld gegenüber sich selbst begleichen, wenn es tatsächlich derselbe Mann war«, sagte Silvia, die bisher stumm zugehört hatte, mit einer kleinen Falte zwischen den Augenbrauen. »Ich denke, es war richtig von ihm, Maerad so zu unterrichten, wie er es tat. Womöglich hätte er sie in Gefahr gebracht, hätte er sie in den Künsten unterwiesen. Ich persönlich glaube Maerads Geschichte.«
Oron erhob sich wieder. »Sind alle Anwesenden von der Wahrheit von Maerads Geschichte überzeugt?«
Zustimmendes Gemurmel ertönte. Usted und einige andere wirkten nach wie vor argwöhnisch, schwiegen aber. Heigar stand lächelnd auf. Äußerlich waren keine Anzeichen der Böswilligkeit mehr zu erkennen, die Maerad bei ihrem Eintreten so verstört hatte. Nur im honigsüßen Tonfall ihrer Stimme schwang sie mit. »Wenn du gestattest, Oron, ich bin nicht überzeugt«, verkündete sie.
Die anderen Barden drehten sich zu ihr um und musterten sie mit betretenen Mienen. Nur Silvia starrte auf den Tisch, als wagte sie nicht, zu Heigar aufzuschauen. »Ja?«, fragte Oron.
»Ich muss gestehen, es ist ein unterhaltsames Märchen«, fuhr Heigar fort. »Ein ahnungsloses Mädchen, eine Sklavin, und ihr wollt sie zu einer Bardin machen! Cadvan selbst gibt zu, dass sie völlig ungeschult ist. Wahrscheinlich kann sie nicht einmal lesen. Und wir wissen nichts über sie. Gar nichts!« Heigar ließ den Blick um den Tisch wandern, und ihre Züge verhärteten sich. »Wollen wir sie wirklich allein auf Cadvans Wort
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