Die Pestmagd
für alle Glasmaler, die ständig mit dieser gefährlichen Substanz umzugehen hatten.
» Sie dringt dir in jede Pore. Du versuchst sie auszuschwitzen, doch sie hat dich längst in Besitz genommen.« Plötzlich meinte er, wieder den melodischen Bass seines toten Bruders zu hören. » Manchmal fühlt es sich an, als sei sie nach innen gekrochen, um mir die Eingeweide zu verätzen …«
Was, wenn Johanna beim Sterben ihres Mannes tatkräftig nachgeholfen hatte, wie er schon lange vermutete?
Und selbst wenn nicht, der Schreinsmeister hatte überzeugende Argumente von ihm gefordert, um die Eintragung in den Büchern zu korrigieren. Exakt solche hielt er jetzt in der Hand, gerade noch rechtzeitig, bevor die Frist ablief.
» Zu Johanna kein Wort!« Drohend baute er sich vor Sabeth auf. » Sonst wird sie sehr, sehr böse werden, die Büttel rufen und dich zu den anderen Idioten in den Bayernturm werfen lassen. Und du weißt genau, was dir dort dann blüht!« Blitzschnell zog er die Hand über seine Kehle.
Sabeths Mund schnappte auf und zu, doch sie blieb stumm. In wilder Panik starrte sie ihn an.
Hennes verschloss den Topf. Was darin schwappte, war zu wertvoll, um auch nur einen einzigen Tropfen zu vergeuden.
Wieso sich eigentlich mit den Schreinsbüchern begnügen? Wenn er wollte, konnte er jetzt Johanna mit Stumpf und Stiel vernichten. Wer würde einer entsprungenen Magdalenerin Glauben schenken, einem Geschöpf, das aus der Gosse kam?
Schließlich hatte auch Mutter Christina jedem seiner Worte aufmerksam gelauscht, nachdem er darauf zu sprechen gekommen war. Seit er Itas Wein der Freude genossen hatte, fühlte er sich ohnehin so kraftvoll und männlich, dass ihm nahezu alles möglich erschien.
Bis zur Haustür schaffte er es gerade noch, den wilden Jubel zu unterdrücken, der in ihm aufstieg. Doch kaum war er draußen auf der Gasse, musste er losrennen, um seiner Freude Luft zu machen, so schnell und mühelos, wie er es seit Lehrlingstagen nicht mehr geschafft hatte.
x
Rosa stieß ein Grummeln aus, als Johanna den Stall betrat. Sie lief zu der Stute, schlang die Arme um ihren Hals. Die Wärme des Pferdekörpers löste den harten Knoten, der sich in ihr gebildet hatte. Obwohl sie es sich fest vorgenommen hatte, nicht zu weinen, rannen nun doch Tränen über ihre Wangen.
» Wie soll es nur weitergehen?«, murmelte Johanna, während sie die Stute streichelte. » Mit dem bisschen Geld werden wir kaum über den Winter kommen. Wir brauchen Essen, Futter, Holz – wovon soll ich das alles bezahlen? Wieso hasst er mich nur so sehr?«
Der Gedanke an Hennes, der sie in diese Lage gebracht hatte, ließ sie laut aufschluchzen.
Die Stute stellte die Ohren auf, als verstünde sie jedes Wort.
» Vielleicht hab ich ihn falsch behandelt.« Johanna riss sich die unbequeme Haube vom Kopf. » Aber wie konnte er sich auch einbilden, jemals an Severins Stelle treten zu können!«
Ihre Ankunft in Köln kam ihr in den Sinn. Damals war sie nach dem langen Ritt so müde und schwach gewesen, dass Severin sie auf seinen Armen ins Lilienhaus tragen musste.
» Wen hast du uns denn da mitgebracht?« Eine Stimme, knarrend und unangenehm. » Wie heißt sie? Woher ist sie?«
» Meine Braut.« Severin ging an seinem Bruder vorbei. » Johanna. Aus Freiburg. Lass sie erst einmal zur Ruhe kommen! Alles Weitere wirst du zur rechten Zeit erfahren.«
Der Blick, den Hennes ihr damals zugeworfen hatte, war ebenso verblüfft wie misstrauisch gewesen.
» Eine Braut für meinen Bruder? Ich fass es nicht! Dass ich das noch erleben darf …«
Sie musste mit ihm reden, beschloss Johanna nun, und wenn es ihr noch so schwerfiel. Nur so konnte sie herausfinden, was Ita mit ihrem Gift bei ihm angerichtet hatte. Sie würde sich überwinden, zu ihm gehen und ganz freundlich sein. Vielleicht ließ er sich ja doch noch umstimmen …
Johanna nahm die Bürste und begann Rosa zu striegeln. Der muskulöse Rücken entspannte sich zunehmend unter den gleichmäßigen Strichen. Die Stute schien die Behandlung zu genießen.
» Morgen reiten wir aus«, sagte Johanna, » am Rhein entlang, damit du endlich meinen Fluss kennenlernst.« Sie legte die Bürste zurück an ihren Platz. » Aber jetzt darf ich Sabeth nicht länger warten lassen!« Sie verließ den Stall, ging über den Hof zum Haus.
Ihre Hand war nicht ganz sicher, als sie den Schlüssel in das Schloss steckte und aufsperrte.
Sie stutzte. Etwas schien im Weg zu liegen. Warum ließ sich die Tür nicht
Weitere Kostenlose Bücher