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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wird sofort einen brauchen.« Tonio begriff, worum es ging. Sein tränenverschmiertes Gesicht hellte sich auf. »Ja, natürlich - du solltest den Posten bekommen! Du wärst die ideale Besetzung!«
    »Wenn du vielleicht ein Wort für mich einlegen ...«
    »Und ob ich das tun werde! Und nicht nur das. Ich werde dem Gesandten berichten, wie du mir geholfen und dich bemüht hast, mich aus diesem selbstverschuldeten Schlamassel rauszuholen. Ich bin sicher, daß er dich nehmen wird.«
    »Daß ich von deinen Schwierigkeiten profitieren soll, ist mir sehr unangenehm«, sagte Micky. »Ich benehme mich wie ein Schmarotzer.«
    »Davon kann keine Rede sein.« Mit beiden Händen ergriff Tonio
    Mickys Rechte. »Du bist ein wahrer Freund.«

5. Kapitel
    September 1873
     
    Hughs sechsjährige Schwester Dorothy legte seine Hemden zusammen und packte sie in den großen Reisekoffer. Sobald die Kleine im Bett war, würde Hugh sämtliche Hemden wieder herausnehmen und noch einmal neu falten müssen, denn Dorothys Bemühungen waren völlig unzulänglich. Dennoch lobte Hugh sie über den grünen Klee und ermunterte sie weiterzumachen. »Erzähl mir noch was von Amerika!« bat sie. »Amerika ist so weit weg, daß die Morgensonne vier Stunden braucht, bis sie dort ist.«
    »Bleiben die Leute dann den ganzen Vormittag im Bett?«
    »Ja - sie stehen gegen Mittag auf und frühstücken dann erst einmal.«
    Dorothy kicherte. »Die sind aber faul.«
    »Nein, eigentlich nicht. Es wird in Amerika nämlich erst gegen Mitternacht dunkel, deshalb müssen sie den ganzen Abend über arbeiten.«
    »Und dürfen ganz spät ins Bett gehen! Ich gehe gerne spät ins Bett. Amerika gefällt mir. Warum darf ich nicht mit dir fahren?«
    »Es wäre wirklich schön, wenn ich dich mitnehmen könnte, Dotty.« Hugh überkam eine gewisse Wehmut: Jahre würden vergehen, bis er seine kleine Schwester wiedersah. Wenn ich zurückkomme, wird sie sich verändert haben, dachte er. Bis dahin weiß sie, was Zeitzonen sind ...
    Der Septemberregen trommelte gegen die Fensterscheiben, und draußen in der Bucht peitschte der Wind die Wellen. Doch im Ofen brannte ein Kohlenfeuer, und davor lag ein weicher Kaminvorleger. Hugh packte eine Handvoll Bücher ein - Modern Business Methods, The Succes s f ul Commercial Clerk, The Wealth of Natio n s, Robinson Crusoe. Die älteren Angestellten der Pilaster-Bank verachteten das
    »Bücherwissen«, wie sie es nannten, und konstatierten immer wieder gerne, daß Erfahrung allemal der beste Lehrer sei. Aber da irrten sie sich: Hugh hatte die Arbeitsweise der verschiedenen Abteilungen viel schneller begriffen, weil er sie zuvor in der Theorie studiert hatte.
    Seine Amerikareise fiel in eine Krisenzeit. Anfang der siebziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts hatten einige Banken hohe Kredite ausgegeben, deren Sicherheit spekulative Eisenbahnaktien waren. Als Mitte des Jahres 1873 der Eisenbahnbau ins Stocken geriet, standen die Banken unvermittelt auf wackeligen Füßen. Erst vor wenigen Tagen hatte die Firma Jay Gooke & Co., Bevollmächtigte der amerikanischen Regierung, Bankrott gemacht und die First National Bank of Washington mit in den Abgrund gezogen. Über das Transatlantickabel war die Nachricht noch am gleichen Tag in London eingetroffen. Mittlerweile hatten fünf New Yorker Banken, darunter die große Union Trust Company und die renommierte Mechanics' Banking Association den Geschäftsbetrieb eingestellt und die Börse ihre Pforten geschlossen. Zahlreiche Betriebe standen vor dem Bankrott, und Tausenden von Menschen drohte der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Auch waren negative Auswirkungen auf den Handel zu erwarten. Das Bankhaus Pilaster würde fortan in Amerika sehr vorsichtig und zurückhaltend agieren, und damit sanken auch Hughs Chancen, sich rasch zu profilieren.
    In London war von der Krise bislang noch nicht viel zu spüren. Der Diskontsatz war um einen Punkt auf vier Prozent gestiegen, und eine kleine Londoner Bank mit engen Verbindungen nach Amerika hatte Konkurs angemeldet. Panik herrschte jedoch keine. Nichtsdestoweniger behauptete der alte Seth Pilaster immer wieder, ihnen stünden schwere Zeiten bevor. Inzwischen doch schon recht gebrechlich, war er in Augustas Haus übergesiedelt und verbrachte den größten Teil seiner Tage im Bett. Dennoch weigerte er sich beharrlich, seinen Abschied zu nehmen; er wolle noch, so meinte er, das Schiff der Pilasters sicher durch den bevorstehenden Sturm steuern.
    Hugh begann, seine

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