Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman
anerkennenden Blick zu. »Kein Wunder, dass du ein würdiger Partner für Lady Fidelma bist. Ich habe immer geglaubt, beim Erkennen und Deuten von Spuren macht mir so leicht keiner was vor, aber darauf wäre ich nicht gekommen.«
»Die Schurken haben sich also von Wind und Wellen in aller Stille hertreiben lassen. In aller Stille haben sie uns bewusstlos geschlagen und Fidelma fortgeschleppt. Aber warum? Und wohin? Gut, sie haben den Fluss genommen, doch mit welchem Ziel? Und jetzt müssen sie gegen die Strömung rudern.«
Gormán schaute hoch in die Wipfel der Bäume. »Der Nordostwind hat sich gelegt. Von Westen weht eine leichte Brise, die ist nicht kräftig genug, um zu segeln, aber wenn die Ruderbänke gut besetzt sind, könnte die Bande rasch vorankommen. Bloß wohin? Nicht weit von hier macht der Fluss eine Biegung nach Osten, wendet sich nach einer Weile nordwärts und fließt durch das Tal im Norden; dort in den Bergen entspringt er.«
»Gibt es Siedlungen flussaufwärts?«, fragte Eadulf.
»Die nächste größere Ansiedlung ist Durlus Éile, der Hauptsitz des Stammes der Éile.«
»Ist das nicht der Ort, den wir auf der Hauptstraße erreichen wollten, als wir Biasta verfolgten?«, fragte Eadulf erregt. »Meinst du, die Entführer sind von Durlus gekommen?«
Vielsagend zuckte Gormán mit den Schultern. »Für ausgeschlossen würde ich das nicht halten. Durlus Éile ist Hauptfestung und Siedlungsort der Éile, von ihrem Gebiet ist der Zugang nach Muman einfach. Wer in Durlus herrscht, beherrscht auch die leicht zu überwindenden Pässe ins Königreich Muman.«
»Aber ist Durlus Éile nicht Teil von Muman?«
»Sie haben dem König in Cashel Treue geschworen, das bedeutet aber nicht, dass sie sich dazugehörig fühlen.«
»Willst du damit sagen, in Durlus Éile wird es gefährlich?«
»Zumindest sollten wir auf der Hut sein, wenn wir uns dorthin begeben.«
Eadulf schaute auf den Fluss, als suchte er eine Eingebung in den schnell fließenden grauen Wassern. Plötzlich schrie er auf und lief zu einem Busch neben der Kerbe, die das Boot hinterlassen hatte.
»Was gibt’s da?«, rief ihm Gormán zu.
»Blut! Lauter Blutspritzer auf den Blättern.«
Der Krieger sprang auf und schaute sich um. »Wessen Blut? Das der Opfer oder der Entführer?«
Langsam ging Eadulf zum Lagerfeuer zurück, Gormán folgte ihm und fragte: »Hast du einen Plan?«
»Es gibt nur einen – ihnen folgen. Ich wünschte, ich hätte einen besseren. Wir müssen uns bis Durlus Éile am Ufer des Flusses halten und die Augen aufsperren. Wir müssen auf jede Stelle achten, an der das Boot angelegt haben könnte. Einverstanden?«
»Einverstanden«, erwiderte Gormán ernsthaft. »Aber wenn wir Durlus erreichen und bis dahin keine Spur und keinen Fingerzeig gefunden haben, was dann?«
»Wollen wir lieber hoffen, wir finden etwas«, erwiderteEadulf mit Nachdruck. »Das Land ist groß, und es gibt viele Orte, an die sie Fidelma gebracht haben könnten. Als eine dálaigh hat sie jede Menge Feinde, und wer weiß, ob es nicht ein Racheakt war, sie zu verschleppen.« Er schwieg eine Weile, überlegte und fügte hinzu: »Wir müssen dem Ersten, den wir treffen und der nach Cashel will und vertrauenswürdig scheint, eine Botschaft an ihren Bruder Colgú mitgeben.«
Gormán nickte bedächtig. Während er sich umschaute, spürte er überrascht, dass es in seinem Kopf nicht länger dröhnte. Eadulfs Aufguss hatte gewirkt, wenn die Wunde auch noch schmerzte. Er nahm ihre Habseligkeiten, schnürte sie zusammen und brachte sie zu den Pferden, die er zur Tränke an den Fluss führte. Eadulf suchte die Stelle ab, wo Fidelma geschlafen hatte, fand dort ihren Umhang und ihr marsupium , auch ihren coir-bholg , den Kammbeutel. Den trug sie immer an ihrem Gürtel oder hatte ihn im marsupium . Sie nahm diese Dinge stets mit, wenn sie irgendwohin ging. Auch von Gormán lag noch etliches herum.
»Du hast noch etwas vergessen«, rief Eadulf Gormán zu und wies auf eine Decke neben der Feuerstelle. Daneben lag ein Lederbeutel, den man an einem langen Band über der Schulter tragen konnte.
Gormán stutzte. »Ich habe angenommen, das gehört dir oder Lady Fidelma.«
Eadulf hob den Beutel auf und öffnete ihn. Zum Vorschein kamen ein paar Kleidungsstücke und einige Bogen Pergament, ferner zwei Gänsekiele und ein Messer in einer Hülle, sonst nichts weiter. Auf einem der Pergamentbogen stand etwas geschrieben, und zwar in der alten Ogham-Schrift, die nach
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