Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
kommunizierst du durch Berührung mit dem Großen Geist.“
„Ich hatte einen Traum.“
„Du und Martin Luther King“, murmelte er. „Waren bestimmt nicht dieselben, jede Wette.“
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schaute aus dem Fenster.
Jimmy seufzte. „Du musst einfach lernen, deine Kraft einzusetzen, ohne die Nephilim anzufassen. Das ist zu gefährlich. Und ich sehe da nur eine Möglichkeit, nämlich dich zu Sawyer zu bringen.“
Einen letzten Versuch unternahm ich noch, um das Unvermeidliche abzuwenden. „Ich habe Angst vor ihm.“
Erst dachte ich, Jimmy würde meine Worte gar nicht zur Kenntnis nehmen, doch dann flüsterte er in die Dunkelheit hinein: „Ich habe auch Angst vor ihm.“
13
D anach gab es eigentlich nichts mehr zu sagen. Jimmy würde mich in New Mexico abliefern. Und schließlich war es nicht das erste Mal, dass ich dort abgegeben wurde.
In dem Sommer, als ich fünfzehn wurde, drückte Ruthie mir ein Flugticket in die Hand und fuhr mit mir nach Mitchell Field. Sie brachte mich zum Flugsteig – vor dem 11. September war das noch möglich – und entließ mich mit einer Umarmung und der Anweisung: „Lern, so viel du kannst. Der Mann versteht sein Handwerk.“ Aber ihr besorgter Gesichtsaudruck und die Art, wie sie mich ein wenig länger im Arm hielt, ließen in mir ein Gefühl der Unruhe entstehen, noch bevor ich im Flugzeug saß.
Eine Freundin von Ruthie holte mich vom Flughafen ab und brachte mich das restliche Stück mit dem Wagen. Die Frau schien genauso alt wie Ruthie zu sein – damals wohl so um die sechzig Jahre, aber für einen Teenager wie mich stand sie schon mit einem Fuß im Grab. Sie war eine Navajo mit einem bronzenen, zerfurchten Gesicht, die Haare schwarz und lang mit vereinzelten silbernen Strähnen. Ihre Hände, die das Steuerrad ihres staubigen Kombis umklammert hielten, sahen aus wie die einer Mumie: knochig, dunkel und verschrumpelt.
Sie hieß Lucinda, doch das wusste ich nur, weil Ruthie es mir gesagt und Lucinda auf meine Frage hin genickt hatte. Auf dem Weg von Albuquerque zum Reservat sprach sie kein einziges Wort.
Ich war neugierig, woher die zwei sich wohl kannten, wagte aber nicht zu fragen. Ich machte mir zu große Sorgen, wohin man mich bringen würde und über diesen Mann. Aber wenn ich so zurückblicke mit meinem heutigen Wissen, dann war Lucinda bestimmt auch eine Seherin.
Am Fuß der Berge vor einem Haus mit mehreren Nebengebäuden hielt sie an und bedeutete mir auszusteigen; und kaum war ich aus dem Wagen, brauste sie auch schon eilig davon und ließ mich in einer Wolke aus Schutt und Staub zurück. Ich war zu jung und unerfahren, um ihr Verhalten seltsam zu finden. Ich nahm einfach an, sie war aus irgendwelchen Gründen spät dran… Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass sie davonlief, bevor sie Sawyer zu Gesicht bekam oder er sie, je nachdem.
Mir wurde sehr schnell klar, dass Sawyer zwar sein Handwerk verstand, aber auch verschlossen, unfreundlich und geheimniskrämerisch war. Obwohl es guttat, jemandem zu begegnen, der noch „seltsamer“ war als ich, fürchtete ich mich auch davor. Seine Kräfte gingen über all das hinaus, was ich kannte. Er faszinierte mich.
Anfangs.
Die Erinnerungen an New Mexico verblassten, als Jimmy und ich Wisconsin hinter uns gelassen hatten und den Mississippi überquerten, um nach Iowa zu gelangen. Zu beiden Seiten des Flusses war die Gegend hügelig mit steilen Klippen und felsigen Bergen. In einer Stunde würden sich die Berge in flaches Land verwandelt haben, und Getreidefelder, so weit das Auge reichte, würden die Landschaft dominieren. Gesprenkelt mit einem Bauernhof hier und einer winzigen Stadt dort.
„Soll ich mal fahren?“, fragte ich.
Jimmy schnaubte. „Wenn ich dich ans Steuer lasse, landen wir womöglich noch in Kanada anstatt in New Mexico.“
„Das würde ich nie…“ Mit seinen schwarzen Augen sah er mich so eindringlich an, dass ich mir gar nicht mehr die Mühe machte, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Er hatte ja recht. Wenn man mir auch nur den Bruchteil einer Chance gegeben hätte, würde ich diese kleine Spazierfahrt sabotiert haben. Ich hätte gar nicht anders gekonnt.
„Was ist eigentlich mit meinem Auto passiert?“, fragte ich.
„Habe ich gegen dieses hier getauscht. Keine Sorge, es ist bestimmt noch da, wenn du zurückkommst.“
Falls ich zurückkam.
„Sollten wir dieses schwarze Monster nicht lieber irgendwo stehen lassen?“ Ich betrachtete das
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