Die Phrrks
die ihm die Gedanken an den Nachruhm, an den Erfolg oder die Selbstlosigkeit verleihen. Selbst ein Nobelpreis, ein LUCKY LIK-KY bedeuteten letztendlich nicht mehr gut, er würde diese Art von Befriedigung nie erleben, aber mußte er deshalb unglücklich sein? Dies war die Chance seiner Gegenwart. Und seine letzte.
Er beschloß, wenigstens so lange auf dem Schietmans-Riff zu bleiben, wie das Wetter nicht um-schlug. Doch er taufte es um, zumindest dieses, sein Atoll, trug es in das Tagebuch ein:
Henrik-Kristian-Henderson-Atoll, eine unsichtbare Insel im Pazifik, und ich bin ihr Robinson.
Er brauchte keinen Freitag, er hatte seine Delphine. Abends schwammen sie auf See hinaus, aber sobald er wach wurde und Musik über das Meer schal-116
len ließ, kamen sie. Die Delphine liebten ganz offensichtlich Mozart und Haydn, auch Bach, Buxtehude, Chopin und Tschaikowski. Ravels Bolero war ihr Favorit. Die Neun- und Zwölftöner vergraulten sie, und die Sturmouvertüre von Sibelius hatte sie in panischer Flucht aufs Meer getrieben.
Er brauchte keinen Menschen. Nicht mehr. Ja, er dachte oft an Silke, erinnerte sich, wie sie nackt vor dem Spiegel stand und die langen, lackschwarzen Haare zu lustigen Zöpfen band oder wie sie im Bett auf ihn wartete, die Decke zur Seite riß, wenn er das Zimmer betrat, oder wie ihr braunes Gesicht über ihm schwebte, an die schmalen Schlitze ihrer Augen, die vorgestülpten wulstigen Lippen, die großen Na-senlöcher über ihre Himmelfahrtsnase hatte Silke immer wieder geklagt. Und die kleinen Brüste…
Drei, vier Wochen hatte er in Connecticut bleiben wollen, doch am zweiten Tag fühlte er sich so erschöpft, daß er abreiste, ausgelaugt von ihrer verzeh-renden Lust, hatte Angst, in ihren Armen zu sterben, nicht Angst um sich – konnte es einen schöneren Tod geben? –, aber ihretwegen, wie sollte sie damit leben? Wie hätte er mit ihr leben sollen?
Er war ihr von der ersten Begegnung an verfallen, obwohl Silke so gar nicht dem Bild seiner Traumfrau entsprach. Nicht blond, schlank und langbeinig, sondern schwarz, mit stämmigen Beinen und einem fast stukigen Körper, mit breitem Gesicht und hervortre-117
tenden Backenknochen, Schlitzaugen die Erbstücke ihrer Eskimo-Ahnen. Er wurde überwältigt von ihrer bedingungslosen Sinnlichkeit. Wie oft hatte er, und immer vergeblich, versucht, sich in eine andere zu verlieben, weil sein Verstand eindeutig sagte, daß sie nicht zueinander paßten.
Nicht, weil sie älter war, was machten die zehn Jahre schon aus, auch nicht, weil sie mit anderen schlief, wenn er nicht bei ihr war Sex, das hatte sie ihm am ersten Morgen freundlich, aber unmißverständlich mitgeteilt, bedeutete für sie nicht Liebe.
Eine Art Ausgleichssport, den sie brauchte. Es war schwer gewesen, aber er hatte es schließlich akzeptiert. Als er am Venusprojekt mitarbeitete, bekam er eine Ahnung davon, unter welch ungeheurer An-spannung ein Syntheologiker in den Stunden der totalen Hirnankopplung mit dem Polycomp stand.
Silke baute die Überspannung ihrer Nerven und Hirnzellen eben mit Sex ab, und wenn er nicht greif-bar war…
Wie aber hätte er auf Dauer zusammenleben sollen mit diesem hochexplosiven Gemisch aus blitzschneller, beängstigend klarer Logik und überfließenden Gefühlsausbrüchen, die bis zu banalster Sentimenta-lität reichten? Allein ihr Hang zu der süßlichen Kitschmusik uralter Operetten und Schlagerschnul-zen! Er brauchte seine Klassiker, Ruhe, die Sicherheit, nicht jederzeit überfallen zu werden, das Recht, 118
sich zurückzuziehen, in Muße nachzudenken, er brauchte unendlich mehr Zeit für einen Entschluß als Silke…
Er war glücklich, als sie nach Connecticut ging, sah er doch nun eine Chance, endlich sein Schlußexamen abzulegen und wie unglücklich schon am
nächsten Tag. Er hatte es nie lange ohne sie aus-gehalten. Seine U-Boot-Reisen, das wußte er längst, waren auch eine Flucht vor Silke gewesen. Nein, vor seiner Schwäche, die ihn schon kurz nach der Abreise zurücktreiben wollte. Zurückgetrieben hätte, wenn er nicht öffentlich sein Ziel verkündet und Angst vor der Blamage gehabt hätte.
Im Grunde war er ein Schwächling. Immer gewesen. Jetzt mußte er sich nicht länger etwas vorma-chen. Jeder starke Charakter konnte ihn auf der Stelle beeinflussen; er unterwarf sich, ohne lange zu zö-
gern, änderte seine Meinung und fand auch gleich Argumente, warum. Und Silke war eine überaus starke Persönlichkeit. Er war ihr nicht nur sexuell
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