Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Jedenfalls jetzt, da sie vielleicht schon in wenigen Stunden sterben würde, müsste sie die Absolution empfangen. Es war eben Brauch, alle Frauen beichteten vor der Entbindung, warum nicht auch sie?
Nur wusste Alice von anderen Frauen, dass der Priester bei dieser letzten Beichte vor der Absolution immer den Namen des Vaters herausbekommen wollte. Nein, sie könnte es nicht. Auch wenn Bernhards Name dem Beichtvater sicher bekannt wäre. Verzweifelt und hingebungsvoll dachte Alice an die Mutter Gottes, die doch selbst die Schande der Schwangerschaft eines unehelichen Kindes ertragen hatte.
Nüchtern stellte Alice plötzlich fest, sie musste mal.
Bernhards Gamboison brachte Alice ins Zelt zurück und machte sich dann auf den weiten Weg, um ihre Notdurft außerhalb des Lagers zu verrichten. Die Latrinen stanken ihr zu sehr und hier in Zeltnähe hinhocken mochte sie sich nicht. Es war verboten, auch wenn keineswegs alle sich daran hielten.
Das Gehen fiel Alice schwer, was sie beunruhigte. Denn es hieß, man solle bis kurz vor der Geburt schwere körperliche Arbeit tun, dann verliefe alles ganz glatt. Ihr war aber jeder Schritt schon zu viel, das Kind drückte mit aller Kraft nach unten.
Alice wählte den kürzesten Weg, obwohl der sie an dem Zelt vorbeiführte, in dem die Kriegsgefangenen bewacht wurden. Martin hatte erzählt, dass hier ein vornehmer muslimischer Jüngling aus Antiochia gefangen gehalten wurde, der bei einem Überfall auf eine Gruppe von Rittern selbst festgenommen worden war, während seinen Gefährten die Flucht gelang. Seine Familie habe eine hohe Summe für sein Leben geboten, doch die Heerführer hätten abgelehnt. Schließlich habe sich die Familie bereit erklärt, Antiochia für das Leben ihres Sohnes zu verraten. Sollte der Plan scheitern, würde der vornehme Jüngling unweigerlich hingerichtet. Alice hatte Mitleid mit ihm und seinen Eltern. Es war verwirrend zu denken, dass die Ungläubigen ihre Söhne so liebten wie die Christen. Wäre Bernhard bereit, eine Stadt gegen das Leben des Kindes, das nun in ihrem Bauch strampelte, zu verraten? Alice umfasste ihren Leib mit ihren Händen.
Endlich am Ende des Lagers angekommen, stellte sie fest, es war wohl nur der Druck auf ihre Blase gewesen, der sie so belastet hatte. Sie trat den Rückweg an.
Da geschah es, die Fruchtblase platzte und das Wasser ergoss sich über ihre Beine, sie fühlte, wie ihr Kleid nass wurde. Das war also der Tag, den sich ihr Kind für die Geburt ausgesucht hatte. Alice stöhnte.
Sie brauchte Hilfe. Bernhards Bursche Kaspar müsste Theresa und einen Priester holen. Die Beichte war nun unvermeidlich geworden.
Vor Kaspars Zelt saß auf dem Boden Anne, ebenfalls mit einer Näharbeit beschäftigt. Daneben stand ihre ältere Schwester Marie. Sehr schön, wie Alice mit einem einzigen Blick nicht umhin kam festzustellen. Die gleichen großen, dunklen Augen, umschattet von schwarzen Wimpern, wie bei ihrem Bruder.
Alice entging der Ausdruck nicht, mit dem Marie sie, die Schwangere, abschätzte. Noch nie war Alice so demütigend betrachtet worden. Sie merkte, sie wurde rot vor Scham.
»Où est ton frère?«, wandte sie sich an Anne.
»Er ist nicht da. Er hat sich ein Schwert aus Holz gemacht und einen Schild aus Bast und übt mit anderen Jungen Schwertkampf.«
»Dieux m’en garde!«, rief Alice. »Anne, hilf mir. Lauf zum Obstgarten und hol Theresa. Du kennst sie doch?«
Anne nickte und drückte Alice ihr Nähzeug in die Hand.
»Ich bin schnell wie der Wind«, rief sie und zeigte, dass sie laufen konnte wie ihr Bruder.
Ratlos stand Alice mit dem Nähzeug herum, drückte es dann Marie entschlossen in die Hand mit einem Blick, in den sie ihre Verachtung hineinzulegen suchte, und ging.
»Metze! Hure!«, rief die andere ihr nach.
Alice brannte vor Wut und gleichzeitig fing sie an zu weinen. Sie empfand einen heftigen, nie gekannten Schmerz, die Wehen setzten ein. Theresa hatte einmal lachend zu ihr gesagt, die Wehen, die überschläft keine Frau.
Sicher war Theresa schon vor Alice da, so schnell, wie dieses Mädchen laufen konnte. Wenn sie nur schon da wäre! Irgendwie ahnte Alice, dass sie noch vor Theresa ihr Zelt erreichen würde. Die Freundin war nicht da. Das Zelt wirkte dermaßen verlassen, dass Alice noch heftiger anfing zu weinen.
Sie musste sich zusammennehmen, sie musste aufhören zu heulen. Eine weinende Mutter bei der Geburt war ein böses Zeichen. Theresa kam sicher gleich, jeden Augenblick. Anne musste
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