Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
waren leider nicht nur Ritter und Fußsoldaten, die geistlichen Beistand brauchten, sondern auch die Nichtkämpfenden, die sich krümmten, weil sie fauliges Wasser getrunken hatten. Alice’ Kinderfrau war ebenfalls gestern beerdigt worden. Überall stank es nach Krankheit und Verwesung. Ihm war elend vor Ekel.
Bernhard hatte das Zelt Balduins von Le Bourg erreicht und wurde von dem davor stehenden Knappen gemeldet und eingelassen. Das Zelt war noch weitaus prächtiger als sein eigenes, ein Geschenk Balduins von Boulogne, des Fürsten von Edessa, an seinen Cousin. In der Mitte stand ein mit Purpur bespannter Thronsessel, so als wäre sein Besitzer ein Herrscher. Es saß aber niemand darauf, sondern die Herren lagerten auf Polstern im Halbkreis und tranken Wein aus golden verzierten Bechern. In Bernhard stieg Empörung auf ob dieses Überflusses und dieser Ungerechtigkeit. Ihm war nicht entgangen, dass den Reichen Wein von den Händlern angeboten wurde, er selbst aber verfügte kaum über die nötigen Mittel für klares Wasser. Dankend nahm er dennoch den ihm gereichten Wein an und setzte sich neben Achard, der ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte.
»Na, wie geht es Olivier?«, flüsterte er.
»Fragt nicht, heute Nacht seid Ihr dran. Da könnt Ihr ihn versorgen. Ich gehe zu Alice.«
»Na, na«, raunte Achard.
»Nichts na, na.«
»Fassen wir also zusammen«, sagte Balduin de Le Bourg mit tadelndem Blick auf Bernhard und Achard.
»Der Sturmangriff auf Jerusalem war eine Niederlage. Sehr viele von uns Rittern sind schwer verwundet oder tot. Das Gleiche gilt für die Fußsoldaten. Ein weiterer Sturmangriff würde unser Heer unnötig schwächen und ebenso scheitern. Deshalb haben die Heerführer heute beschlossen, Belagerungsmaschinen zu bauen.«
Bernhard kräuselte die Stirn. Wovon?, zweifelte er.
»Meine Herren, Ihr denkt alle dasselbe. Aber ein syrischer Christ kennt einen Ort in den Bergen, wo es Holz, wenn auch nicht gerade im Überfluss, so doch überhaupt gibt. Graf Raimond und Graf Robert werden sich mit ihren Leuten, Kriegsgefangenen und Kamelen dorthin aufmachen. Ob es allerdings reicht, werden wir dann sehen. Wie auch immer, ohne Belagerungsmaschinen können wir Jerusalem niemals erobern.«
Dem stimmte jeder der Männer zu. »Dann ist da noch eine Frage zu klären. Aufgrund des Wassermangels ist uns das Vieh verreckt. Wer von Euch reitet Richtung Ramla und besorgt neues?«
Einige der Ritter hoben ihre Hand, unter ihnen Achard.
»Ich selbst will auch Nahrungsmittel einbringen«, sagte Balduin von Le Bourg. »Wer begleitet mich?«
Bernhard nickte: »Ja, ich.«
Gleichzeitig durchfuhr ihn die Sorge: Wer sollte Olivier versorgen?
Es war spät geworden. Die Ritter erhoben sich, verließen das Zelt und traten in die schwüle, beinahe schwarze Nacht. Feuer brannten nicht in Ermangelung von Holz. Selbst die Umrisse der großen Zelte der Heerführer waren nur schemenhaft zu erkennen. Zwar gewöhnten sich Bernhards Augen an die Dunkelheit, doch war er trotzdem irgendwie erleichtert, als er in Alice’ Zelt trat, die, den weinenden Hanno auf dem Schoß, noch wach war. Sie sang dem Jungen ein Schlaflied und streichelte ihn. Bernhard setzte sich daneben und blickte seinen Sohn bekümmert an. Einen Augenblick barg er sein Gesicht in seinen Händen, dann stupste er Alice mit der Nase an und sagte:
»Schön, dich gesund zu sehen, meine Liebste.«
»Bitte nicht liebkosen«, sagte Alice und nahm seine Hand von ihrer Wange.
»Keine Sorge, ich will nichts von dir. Ich will unsere Eroberung Jerusalems nicht gefährden. Aber ich würde gerne die Nacht bei dir bleiben. Ich halte es in meinem Zelt nicht mehr aus.«
»Hier ist es auch nicht viel ruhiger. Der Kleine zahnt. Aber wenn Ihr wollt. Das Bett der Bogenschützin ist leer – und nun auch das der Kinderfrau. Ich hatte sie davor gewarnt, das verdreckte, faulige Wasser zu trinken.«
»Blutegel?« Bernhard schüttelte sich.
Alice nickte, ergriff gedankenverloren seine Hand und fragte:
»Kommt Olivier denn durch?«
Bernhard zog seine Hand zurück und ermahnte sie:
»Nicht doch, Alice. Ja, es scheint, dass er es schafft. Aber sein Gejammer ist nicht zu ertragen und es ist noch nicht einmal das Schlimmste. Viel entsetzlicher sind seine Füße.
Guck nicht so erstaunt. In seinen Fieberanfällen wird Olivier von Wahnvorstellungen geplagt, der Erzengel Michael strafe ihn und bei jedem Hieb mit dem Schwert zuckt er mit seinen großen Füßen.«
»Er tut
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