Die Plantage: Roman (German Edition)
Crawford.«
»Schmuggler?«
»Etwas in der Art.«
»Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte.«
»Sie haben getan, was Sie konnten, Mr. Crawford. Hätte ichgeahnt, dass Sie auf solche Schwierigkeiten stoßen würden, hätte ich Sie nicht allein losgeschickt. Jedenfalls danke ich Ihnen für Ihre Mühe.«
Er griff in seine Rocktasche. Aber Nick stand schnell auf. »Nein, Sir, Sie haben mir schon genug Geld gegeben. Ich hoffe nur, dass wir Néné bald finden. Dann gute Nacht, Sir!« Mit einer raschen Verbeugung war er hinaus.
Offenbar war Nick einer Bande in die Quere gekommen, die irreguläre Fracht an Bord der Tristar brachte, um sie als Zuladung mit der bereits deklarierten Fracht zu verschiffen; und alles im Auftrag des Mannes, der in der Londoner Vertretung der Starline Company offiziell das Sagen hatte! Nick hatte großes Glück gehabt, dass diese Leute ihn nicht für voll genommen hatten und laufen ließen. Was aber war mit Néné passiert? William war überzeugt, dass sein Verschwinden mit den Machenschaften um die Tristar zusammenhing. Der einzige konkrete Hinweis führte zu dem Agenten der Starline Company, dem Master, der seine Crew überwiegend aus Schwarzen rekrutierte. Er musste diesen Mann finden. Er wusste auch schon, wer ihm dabei helfen konnte.
Von der Empore beobachtete Rossetti verdrossen den hageren Mann, der, den Stock unterm Arm, die Treppe zum Restaurant hinaufstieg. Rossetti seufzte. Er betrachtete es als seine Pflicht, Gästen, deren Namen Mr. Merryman in einem gewissen Tonfall nannte, besonders zuvorkommend zu begegnen. Merryman hatte von Mr. Marshall in diesem Tonfall gesprochen, er hatte sogar darum gebeten, in Kenntnis gesetzt zu werden, wenn er den Club das nächste Mal besuchte.
Rossetti konnte Marshall nicht ausstehen. Seine Abneigung war keine spontane Antipathie, das wäre zu einfach. Nein, sein Urteil beruhte auf peniblen Publikumsstudien, die er seit Jahren für sich betrieb, um den komplexen Anforderungen seiner Stellung gerecht zu werden. Inzwischen hatte er eineReihe sorgfältig differenzierter psychologischer Typologien entwickelt, anhand derer es für ihn ein Leichtes war, einen Menschen schon bei der ersten Begegnung bestimmten Kategorien – Rossettis Kategorien! – zuzuordnen.
So entsprach Marshall einem Typus, der Rossetti aufgrund seines Minderwertigkeitsgefühls als Emigrant in höchstem Maße verhasst war: Männer wie Marshall gaben sich nicht nur unerträglich arrogant; sie gefielen sich besonders in einer Art spektakulärer Kompromisslosigkeit, eine Haltung, die schon ganze Familien ruiniert hatte. Die Welt bewunderte hingerissen solche Männer wegen ihrer Charakterstärke, während Rossetti darin nichts weiter als Prinzipienreiterei erkennen konnte.
Odemar Rossetti, der stolzen Herzens Frankreich verlassen musste, hatte mit den Jahren seines Exils eine spezielle Meinung über englische Männer von Stand entwickelt, die laut zu äußern er sich wohl hütete. Der Umgang mit dieser Klasse zwang ihn zu äußerster Selbstbeherrschung, während sein hugenottisches Gewissen gequält aufstöhnte. Nun erzeugte Marshalls Auftreten in ihm ein Gefühl verzweifelter moralischer Deprimiertheit.
Oberflächlich betrachtet hätte man Marshalls Überheblichkeit für eine ungute Kombination von stolzem Eigensinn und Egozentrik halten können. Weit gefehlt! Rossettis Analyse ergab, dass seine Arroganz die schamloseste Zurschaustellung von Schwäche darstellte: ein Kokettieren nämlich mit der eigenen Unfähigkeit, sich gewissen inneren Zwängen zu widersetzten, die stärker waren als man selbst. Unnötig zu erwähnen, dass sich solche inneren Zwänge stets als Tugenden erwiesen, wie Treue, Tapferkeit, Mut, Großmut, Edelmut … Es wurde Rossetti ganz übel bei der Aufzählung sich endlos steigernder Ritterlichkeit, die in Gestalt Marshalls die Freitreppe heraufstieg und für sich in Anspruch nahm, immer im Recht zu sein, selbst im Unrecht.
»Mr. Marshall, welch eine Ehre!« Rossetti dienerte ergeben. »Ich werde sofort einen Tisch für Sie vorbereiten lassen. Wünschen Sie, wieder vorn an der Balustrade …«
»Bemühen Sie sich nicht«, entgegnete William. »Ich habe schon einen Platz entdeckt, dort drüben, gleich neben dieser … sagen Sie, Rossetti, ist das eine echte Palme?«
Mit dem Blick eines Märtyrers geleitete Rossetti ihn zu einem Tisch, der weniger exponiert stand, aber doch einen guten Ausblick bot über den Saal und das Casino. William nahm
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