Die Prophezeiung
stirnrunzelnd die bräunliche undefinierbare Lache in einer Ecke. »Nein, hier hat sich jemand übergeben.«
»Gottverdammt!« Hastig trat Katie einen Schritt zurück und machte einen riesigen Bogen um die Pfütze auf dem Boden. Angewidert beobachtete sie Robert, der sich von draußen einen Stock holte und in der Lache herumstocherte. Anschließend hob er ihn, um daran zu riechen. Bei alldem verzog er keine Miene. Und hielt ihr zu allem Überfluss auch noch den Stock unter die Nase.
»Was sagst du?«
»Was wohl? Das ist ekelhaft!« Ihr Magen hob sich.
Robert ignorierte ihren Aufschrei. »Er hat es vermutlich nicht mehr ins Freie geschafft, als ihm schlecht geworden ist.«
»Was uns auch nicht weiterhilft, oder?«
Robert trat an den Holzofen, auf dem eine verbeulte Blechbüchse stand mit der Aufschrift »Bush’s Best Grillin Beans«. »Er hat sich etwas gekocht.«
»Warum sollte er das tun? Die Mensa am Grace ist nicht gerade ein Luxusrestaurant, aber immer noch besser als Bohnen aus der Dose. Und hier muss es doch scheißkalt gewesen sein.«
David mischte sich ein: »Wenn man unter Drogen steht, dann nimmt man alles ganz anders wahr. Müdigkeit, Hunger, Kälte – das spürt man nicht mehr. Wäre es die letzten Tage nicht so warm gewesen, hätte er auch erfrieren können in seinem Zustand.«
»Noch mal, Leute: Dass er hier war, wussten wir auch schon vorher. Was bringt uns das also?«
»Wir sind auf dem richtigen Weg«, sagte Robert. »Und wir sollten etwas von dem Erbrochenen mitnehmen, David.«
»Aber das Drogenscreening war doch negativ.«
Robert schüttelte den Kopf. »Ich hab zu wenig Ahnung von der toxischen Wirkung einzelner Drogen. Aber vielleicht ist es etwas, was sich nach zwei, drei Tagen nicht mehr nachweisen lässt?«
Katie zuckte mit den Schultern. »Wenn das heißt, dass wir zurückgehen können, soll es mir recht sein.«
Robert war noch dabei, den Inhalt des Kochtopfs zu untersuchen. »Warum bist du hier, Katie?«, fragte er nachdenklich.
»Ihr habt mich gezwungen mitzugehen.«
»Nein.« Er bückte sich und hob ein Stück Zeitung auf, das aus dem Holzstoß am Boden ragte. »Mach dir nichts vor, Katie. Etwas anderes ist passiert. Etwas, das nur dich angeht, stimmt’s?«
»Eben. Es geht nur mich etwas an.«
Sie war schon an der Tür, als sie Robert sagen hörte: »Das Problem ist, Katie, dass immer alle meinen, man könne Entscheidungen nach Pro und Kontra fällen. Aber das stimmt nicht. Man muss so lange warten, bis man weiß, was man zu tun hat.«
Sie wandte sich um. »Das sagst ausgerechnet du? Du bist Mathematiker.«
»Aber kein Idiot«, erwiderte Robert und Katie wollte gerade lachen, als sie draußen auf der Veranda Schritte hörten.
Ein Brett knackte.
Stille.
Und dann wieder:
Vorsichtige Schritte.
Sie hatte sich nicht getäuscht.
Jemand war ihnen gefolgt.
Mit drei Schritten war Katie an der Tür und riss sie auf.
»Du?«, fragte sie entgeistert.
Grace Dossier
Aus den Notizen von Martha
Eifersuchtswahn
Feste Überzeugung, von der (Sexual-)Partnerin betrogen zu werden. Diese fast nur bei Dementen oder alkoholkranken Männern auftretende Wahnkrankheit führt zu misstrauischen Überwachungsmanövern (trifft zu!), unbegründeten Vorwürfen (werden immer häufiger!) und (handgreiflichen) Auseinandersetzungen, bisweilen sogar zu Tötungsdelikten.
Handbook of Psychopathologia, New York 1969
Kapitel 12
Tom.
Mit ihm hatte Katie am wenigsten gerechnet.
Er stand auf der Holzveranda und starrte Katie erschrocken an. Er trug einen dunkelgrauen Mantel, der bis zu den Knien reichte, einen orange-weiß karierten Schal um den Hals und schwarze Lederhandschuhe. Sogar hier in der Wildnis legte er noch Wert auf seine Kleidung. Doch den Weg hierher hatten seine Sachen nicht schadlos überstanden. Seine sündhaft teure Designerjeans war bis zu den Knien feucht und die braunen Lederschuhe total verdreckt.
»Täusche ich mich oder verfolgst du uns?«, fragte Katie.
»Sag du es mir.«
»Und was soll das jetzt heißen?«
»Ihr habt es gewusst, oder?« Toms Stimme klang heiser. »Ihr habt es die ganze Zeit gewusst.«
»Was?«
»Er hat jemand anderen, stimmt’s?« Aus Toms Stimme war Verzweiflung zu hören.
Katie starrte ihn an. »Wovon sprichst du?«
»Sag mir die Wahrheit. Benjamin betrügt mich.«
Katie hob die Hände. »Also, ich bin garantiert nicht sein Typ. Außerdem steht er nicht auf Frauen, das solltest du am allerbesten wissen.«
Tom schüttelte den Kopf. »Doch
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