Die Prophezeiung der Steine
geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hatten, und lächelte dabei so breit, dass sein ganzes Gesicht von Lachfalten durchzogen war.
»Sie haben ihre Sisgara vermisst«, sagte er. »Ihre Herdenführerin. Ohne dich waren sie verloren und einsam.«
»Ich bin mir ohne sie auch ein bisschen verloren und einsam vorgekommen«, gestand Bramble, der diese Begrüßung enormen Auftrieb verlieh.
Sie strich ihnen über die Nüstern, schlug Trine auf die Schulter, als diese Eel auf den Fuß treten wollte, fühlte sich wohl, so umgeben von der vertrauten Wärme und dem Geruch der Pferde. Sie reiste nun nicht länger allein in diesem fremden Land.
Als man ihr erneut die Augen verbinden wollte, bat sie um einen kleinen Moment, damit sie den Anblick der Morgendämmerung über dem See genießen konnte. Der Himmel war bedeckt mit Wolkenstreifen, die jede nur erdenkliche Farbe aufgriffen, grün, zartrosa und golden, anilinrot, bläulich violett und violett. Alle Farben wurden von dem spiegelglatten Wasser reflektiert. Es war ein Kaleidoskop
von Farben, das sich rasch veränderte, während die Sonne aufstieg und der Himmel ein zartes Blaugrau annahm, das blasse, klare Blau eines Winterhimmels. Bramble holte tief Luft, als könne sie die Farben in sich aufsaugen.
»In Ordnung«, sagte sie.
Sie machte die Augen zu und bekam sie verbunden. Dann richtete sie es sich wieder an der Seite des Bootes ein und lauschte erneut dem See.
Sie stakten langsam aus schmalen Fahrrinnen heraus und ließen die vielfältigen Geräusche des Dorfes hinter sich, bis nur noch die Rufe der Vögel, das Rauschen des Schilfgrases und das Plätschern des Seewassers zu vernehmen waren. Es schwappte friedlich glucksend gegen den Bug, klang aber auch so, als würden sie alle zur Eile angetrieben. Ob Eel es so auffasste wie sie, wusste sie nicht, doch als sie in eine grö ßere Fahrrinne kamen, nahm das Boot Geschwindigkeit auf, und sie bewegten sich schneller als am Vortag.
Nach einer Weile kam er zu ihr, um ihr die Augenbinde abzunehmen und ihr Wasser, Käse und Brot zu reichen. Er teilte das Essen mit ihr, während er mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Deck saß. Sie waren in einer kleinen Bucht angelandet, die von Weiden und, weiter zurückstehend, Ulmen umgeben war. Die Weiden hatten fast alle ihrer dünnen gelben Blätter abgeworfen, die Ulmen waren bereits winterlich kahl. Es lag ein herbstlicher Geruch nach Moos und absterbender Erde in der Luft, der von dem Geruch des Kohlenteerpechs des Bootes fast überdeckt wurde. Während sie aßen, legten Eels Leute zwei Planken heraus und führten die Pferde, die sich dabei balgten, auf das Festland.
»Wir haben dich zur Nordseite gebracht, aber weit westlich der Stadt. Weiter oben ist eine Straße, die dich zum Golden Valley führen wird und von dort über den Quiet
Pass in die Last Domain, wo du die Quelle der Geheimnisse finden wirst.«
Bramble nickte. »Danke.« Sie fragte sich, ob sie ihm von dem Traum erzählen sollte.
»Aber denk daran«, fuhr Eel fort, »die Straße liegt in der Cliff Domain - die Domäne von Thegans Sohn. Thegan hat dort geherrscht, bevor er Lady Sorn ehelichte. Du musst vorsichtig sein.«
Bramble lief ein Schauder über den Rücken. Sie hatte gehofft, den See so nahe wie möglich bei Baluchston zu überqueren, sodass sie nicht durch die Cliff Domain hätte reiten müssen.
»Er wird von beiden Seiten über euch herfallen«, sagte sie.
»Ja. Aber mach dir keine Sorgen. Es ist früher auch schon vorgekommen, mit Leuten, die so gierig und blutrünstig waren wie er, und wir leben trotzdem noch hier. Wir werden immer hier leben. Wir sind die Kinder des Sees, und sie sorgt für uns, genau wie sie auch für dich sorgt.«
Bramble war überrascht, und man sah es ihr an.
»Glaubst du etwa, sie sorgt nicht für dich?«, fragte Eel und lachte. »Dann frage dich doch mal, wie du eine Nacht bei offenem Fenster verbringen konntest und am nächsten Morgen keinen einzigen Moskitostich hast? Für mich hat sie das noch nie getan!«
Bramble betrachtete ihre Arme und war überrascht, dass es ihr noch gar nicht aufgefallen war. Kein einziger Stich. Und dabei hatte sie, als Salamander sie zu dem Haus gestakt hatte, überall das ständige Gesurre der Moskitos vernommen.
Sie machte den Mund auf, wusste aber nicht, was sie sagen sollte.
»Ich fühle mich geehrt«, brachte sie schließlich hervor.
Eel lächelte sie erneut an und klopfte ihr auf die Schulter. Bramble kam sich plötzlich sehr
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