Die Prophezeiung der Steine
beobachtete die Kunsthandwerker und Kunsthandwerkerinnen, die um mich herum ihre Tische aufbauten, doch meist nahm ich die Kunsthandwerker genauer ins Visier und dachte dann: Nein, der ist zu alt für Bramble, der hier ist zu jung, dieser wiederum ist zu klein, jener ist zu mager, zu verschlagen, zu flatterhaft … So wie meine Kunden die Längen Wolle auf meinem Tisch durchgingen, so ging ich die Männer durch. Keinen von ihnen hätte ich für Bramble erworben.
Von meiner Bahn herbstlichen Stoffes angezogen, kamen viele Leute zu mir, doch ich mochte das Stück und verspürte gar keinen rechten Willen, es zu verkaufen, sodass ich einen hohen Preis dafür ansetzte, und viele, die das Rot und Gold und Grün befingerten, schickte ich mit dem zweckmäßigen Braun davon. Dann kam die Stadtdirektorin mit ihrem Mann, dem Silberschmied, ihrer Tochter, der Juwelierin, und ihrem Sohn, dem Holzschnitzer. Die Stadtdirektorin
wollte das leuchtende Stück als Winterfestgeschenk für ihren Mann erwerben, um ihm daraus eine schöne Weste und einen Schal zu machen. Was hätte ich tun sollen? Alle Händler wissen, dass die Stadtdirektorin über Erfolg oder Misserfolg deines Wintermarktes bestimmt, diesem oder dem nächsten, und zwar dadurch, wohin du deinen Tisch stellen darfst und wie viel sie dafür verlangt.
Also nannte ich meinen Preis und räumte ihr einen beträchtlichen Nachlass ein. Widerwillig reichte ich das Stück ihrem Mann, und die Familie zog davon. Doch der Sohn, der Holzschnitzer, blieb zurück.
»Das fällt einem schwer«, sagte er, »einem Fremden etwas zu geben, das man gemacht hat und das man liebt.«
Ich schaute ihn zum ersten Mal richtig an, und was ich sah, gefiel mir, denn er sah gut aus. Er hatte herbstbraunes Haar in der Farbe von verblassenden Eichenblättern, und warme, braune Augen, und schöne Hände mit Schwielen von Beitel und Säge. Es waren die gleichen Schwielen, die ich auf meinen Händen hatte, die gleichen, wie mein Vater sie hatte. Daher wusste ich, dass er fleißig in seinem Gewerbe war, und an seinem Lächeln erkannte ich, dass er fröhlich war. Ich machte mich daran, mehr über ihn zu erfahren, denn hier war endlich jemand, der zu Bramble passen könnte.
»Ja, das ist schwer«, räumte ich ein.
»Ich heiße Merrick«, sagte er. »Und wie heißt du?«
Je mehr ich ihn kennenlernte, desto sicherer war ich mir. Er war fleißig und erfolgreich, jung und gut aussehend, fröhlich und ausgeglichen, und stark - alles, was ich mir für Bramble gewünscht hatte. Wir blieben für die Dauer jenes Wintermarktes zusammen, sogar noch, nachdem ich all mein Tuch verkauft hatte, denn es setzten schwere Schneefälle ein, und die Straßen waren unpassierbar. Daher
zogen wir miteinander los und unterhielten uns, vor allem über Bramble. Ich erzählte ihm von meiner Schwester, ihrer Schönheit, ihrer Wildheit, dass sie sich noch nie etwas aus einem Mann gemacht hatte und sich gegenüber einem Freier noch nie zu einem Lächeln herabgelassen hatte. Meine Großmutter hatte mir nämlich mal erzählt, dass Männer gerne hinter etwas her sind, was sie nicht haben können, und so ließ ich Bramble als distanziert und nicht greifbar erscheinen - wie eine schneeweiße Hirschkuh im Wald -, schließlich entsprach das der Wahrheit.
Vielleicht hatte Großmutter ja auch Recht, denn als die Schneefälle aufhörten, bat mich Merrick um Erlaubnis, mich auf meiner Heimreise in unser Dorf zu begleiten, um meine Familie kennenzulernen. Die Stadtdirektorin strahlte, und Merricks Schwester gab mir einen Kuss auf die Wange und steckte mir frisch gebackenes Brot und Äpfel mit braun gesprenkelter, rauer Schale in meinen Rucksack.
Es war eine sehr angenehme Reise. Merrick brachte mich auf dem ganzen Weg zum Lachen, und wenn wir mal nicht lachten, dann unterhielten wir uns angeregt über Nutzholz, Eiche und Esche und Buche, über blasses, glattes Lindenholz und über seltenes, wohlriechendes Zedernholz. Dann lachten wir wieder.
Doch sonderbar, je näher ich meinem Dorf kam, umso schwerer wurde mir ums Herz. Als wir schließlich vor unserem Eingangstor standen, die Tür aufging und Bramble uns mit nackten Füßen, schwarzen Augen und roten Wangen entgegengerannt kam, konnte ich Merrick nicht in die Augen schauen, aus Angst, mein Plan könne funktionieren und er ließe sich von ihrer Schönheit und ihrem Charme bezaubern.
Und das hätte er vielleicht ja auch, wenn er Bramble als Erste kennengelernt hätte, mit ihrem leuchtend
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