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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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aus ihrem Dorf. Der Gedanke, dass Carl oder Wilf oder Eric ein durch Zufall angetroffenes Wanderermädchen so behandeln würden, ließ sie erschaudern. Würden sie das? Wilf sicher nicht. Oder doch? Sie erinnerte sich daran, wie sie im vergangenen Sommer mit Wilf im Schatten einer
großen Weide gelegen hatte, seine Hände zärtlich auf ihr, sein Körper ein Vergnügen. Verliebt waren sie nicht gewesen, aber sie waren liebevoll zueinander gewesen. So würde sich Wilf doch bestimmt nicht benehmen?
    Dann aber hielt ihr eine andere Stimme, die genauso laut war, vor: Für sie bist du bloß eine Wandrerin. Wanderern können sie antun, was sie wollen.
    Während der vielen Vollmonde, seit sie Carlion verlassen hatte und sich langsam an der Küste auf die Central Domain zubewegte, hatte sie am eigenen Leib erfahren, wie Actons Leute Wanderer behandelten.Von dem Pferd abgesehen, sah sie ja auch ganz so aus. Bei näherer Betrachtung waren ihre Kleider Handarbeit, auch wenn sie Kniehosen trug. Doch auf den ersten Blick war sie bloß ein ganz normales Wanderermädchen. Und so wurde sie auch behandelt.
    Als sie am ersten Abend nach einem Zimmer im Gasthaus gefragt hatte, hatte der Gastwirt von innen gebrüllt: »Nächstes Mal an der Küchentür, Mädchen, und hier in dieser Domäne ist der Stall für dich und deinesgleichen genau das Richtige!« Daraufhin hatte er die Jungen im Dorf dazu veranlasst, sie mit Steinen zu bewerfen.
    Danach hatte sie im Wald geschlafen; an die Küchentür zu gehen, dazu konnte sie sich nicht aufraffen, nicht, solange die Frühlings- und Sommerabende warm waren.
    Zu essen hatte sie. In Läden wurde sie bedient, wenn sie hinten wartete, bis alle anderen vor ihr bedient worden waren. Allerdings wurde ihr mehr als den anderen berechnet, und wenn sie dagegen protestierte, nahm man ihr die Lebensmittel wieder ab.
    »Dann verhungere halt«, hatte der Bäcker gesagt.
    Sie war es satt, immerzu auf der Hut zu sein, immer mit einem bösen Wort oder einem nach ihr geworfenen Stein rechnen zu müssen, sie war es satt, ohne jeden Grund gehasst
zu werden. In Wooding hatte es durchaus ein paar Leute gegeben, die sie nicht gemocht hatten, zum Teil weil sie aussah wie eine Wandrerin, doch mehr noch, erkannte sie jetzt und verzog dabei das Gesicht, weil sie übertrieben wild gewesen war. Aber selbst Aelreds Mutter hatte sie nicht mit den leeren Augen des Hasses angeschaut, den Augen, die nicht sahen, wer wirklich vor ihnen stand, die keinen Menschen in ihr sahen, sondern nur eine Wandrerin. So hatte sie der Mann des Kriegsherrn angesehen, bevor sie ihn tötete, doch damals hatte sie das nicht erkannt. Sie hatte es persönlicher genommen, als es in Wirklichkeit gemeint gewesen war.
    Nachts träumte sie von den leeren Augen, und manchmal trat sie um sich, wie sie nach dem Mann des Kriegsherrn getreten hatte, und wachte dann schweißüberströmt, fluchend und erschöpft auf. Um Trost zu suchen, wandte sie sich meist dem Rotschimmel zu, drückte ihr Gesicht an seine warme Flanke, während er neugierig an ihrem Haar schnupperte. Auch von der Dunkelheit nach dem Tod träumte sie, einer Dunkelheit, aus der sie wiedergeboren werden würde. Diese Träume waren tröstlich, verliehen ihr die Gewissheit, dass es eines Tages ein neues Leben geben würde, auch wenn es ihr bestimmt war, jetzt tot zu sein, ja sogar, wenn sie sich tot fühlte .
    Der Nebelschleier lichtete sich nur, wenn die Sonne in ihrem Rücken stand und der Weg vor ihr endlos erschien, oder wenn sie in der Morgendämmerung die Zaunhecken roch, während die Wildblumen im Frühtau ihren Duft freigaben. Sie liebte das Gefühl, dass niemand sie erwartete, dass es keinen Ort gab, an dem sie sein musste; keine Ziegen, die gemolken, kein Garten, der gejätet, kein Waisenkind, das gefüttert werden musste, niemand brauchte sie, außer dem Rotschimmel. Die Freiheit war das Einzige, was
wirklich war. Nach wie vor schaute sie wie durch ein trübes Glas und bemühte sich, zu akzeptieren, dass dies vielleicht immer so bleiben würde. Nur die Gedanken an den Großen Wald trieben sie voran.

    An einem frühen Herbstnachmittag gelangte sie nach Sandalwood. Über ihr flogen kreischende Wildgänse, die gen Süden zogen. Früher hatte Bramble diesen Rufen mit dem sehnsüchtigen Verlangen gelauscht, fortzugehen, auf Wanderschaft zu sein, irgendwohin zu ziehen. Nun löste es keine Sehnsucht mehr in ihr aus, sondern erinnerte sie lediglich daran, dass ein Jahreswechsel bevorstand.
    Am

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