Die Prophezeiung von Umbria
Bauern und Reisenden zu überfallen. Rath fragte sich, was sie jetzt so weit nach Osten verschlagen hatte.
Wie es schien, war Maura nicht freiwillig mit Vangs Männern gegangen. Schmunzelnd und voller Stolz stellte Rath sich vor, wie sie ihre Entführer verzaubert hatte. Das würde auch die seltsamen Spuren auf der Heide erklären.
Doch der Zauber hatte Maura nichts genutzt. Sie war jetzt Vangs Gefangene.
Wie kann ich sie nur befreien, fragte er sich. Hatte er überhaupt genügend Mut dazu?
Maura schritt in der kleinen, gemauerten Zelle, in die man sie geworfen hatte, auf und ab und versuchte nicht daran zu denken, was Vang und seine Männer mit ihr tun würden.
Die feuchten Mauern schienen sich immer enger um sie zu schließen, bis sie glaubte, an ihrer Verzweiflung ersticken zu müssen. Von Verfemten entführt zu werden, war lange eine ihrer schlimmsten Ängste gewesen. Jetzt war es geschehen.
Maura ging weiter immer im Kreis herum und zermarterte sich das Hirn nach einer Fluchtmöglichkeit. Doch die Steinwände waren fest und unnachgiebig.
Was für einen Sinn hatte eigentlich eine Burg aus Stein hier mitten im Wald?
Wenn sie so groß wie ein Kaninchen wäre, könnte sie sich durch das winzige Fenster zwängen, das ein wenig Licht und Luft hereinließ. Doch da wäre immer noch das Problem, es zu erreichen, denn es war hoch oben an der Wand, dicht unter der Decke.
Von außen gesehen war es aber ebenerdig. In diesem Augenblick sah sie zwei mit Stiefeln bekleidete Füße vorbeigehen.
Mit einem verzweifelten Seufzer sank Maura zu Boden. Aus eigenen Kräften konnte sie diesem Gefängnis nie entfliehen.
“Allgeber”, flüsterte sie. “Ohne deine Hilfe kann ich deinen Willen nicht erfüllen.”
Draußen näherten sich schwere Schritte. Sie hörte, wie der schwere Riegel zurückgezogen wurde.
Maura atmete tief durch, erhob sich und nahm eine ruhige, gelassene Haltung an, während sie innerlich völlig aufgewühlt war.
Die Tür schwang auf. Ein kleiner, stämmiger Mann trat ein, in der Hand ein Seil. Sofort drängten sich hinter ihm zwei weitere Männer durch die Tür. Die Pfeile auf ihren Kurzbogen waren auf Maura gerichtet. Die Bewegungen der drei waren seltsam ruckartig. Und sie wichen ihrem Blick aus. Hatten
sie
etwa Angst vor
ihr?
Bei dieser Vorstellung brach Maura unwillkürlich in ein fast hysterisches Lachen aus.
“He, was ist denn da so lustig?”, fragte der Mann mit dem Seil. “Vang will dich sehen. Das ist kein Grund zum Lachen.”
Das hatte Maura auch nie angenommen.
“Dreh dich um”, befahl der Gesetzlose. “Wenn du so freundlich sein willst”, fügte er unsicher hinzu, als wüsste er nicht, was er tun würde, wenn sie sich weigerte. “Ich muss dir die Hände auf den Rücken binden. Befehl von Vang.”
Also hielt dieser Himmelsspeer sie auch für gefährlich. So absurd diese Vorstellung auch war – sie stärkte Mauras Selbstvertrauen.
“Nun gut”, gab sie mit gespielter Selbstsicherheit zurück. “Wenn Euer Anführer solch eine Angst vor einer einzelnen, hilflosen Frau hat, dann soll sein Wille geschehen.”
Sie beschloss so zu tun, als sei sie eine der königlichen Frauen aus Langbards Geschichten, drehte sich langsam um und hielt dem Mann ihre gekreuzten Hände hin.
Als das raue Seil ihre Haut zerkratzte, fühlte sie sich verletzlicher als jemals in ihrem Leben zuvor. Doch dass die Hände des armen Mannes zitterten und er immerfort Entschuldigungen stammelte, stärkte wiederum ihr Selbstbewusstsein. Und dann war da noch etwas anderes: Das Bewusstsein, dass auch diese Männer Geschöpfe des Allgebers waren, ganz gleich, wie sehr die Schlechtigkeit der Welt sie zugrunde gerichtet hatte.
“Bitte da entlang, werte Dame.” Der Mann sagte es ohne Spott. “Das Seil ist doch nicht zu fest, oder? Ich könnte es etwas lockern. Allerdings nur ein bisschen, sonst reißt Vang mir den Kopf ab.”
“Bemühe dich nicht.” Maura drehte sich um und blickte den Mann an. “Ich weiß, dass du nur die Befehle ausführst, die man dir gegeben hat.”
Das harte Gesicht des Mannes wurde mit einem Mal weich und seine schielenden Augen schienen aufzuleuchten. Wie lang mochte es wohl her sein, dass jemand ein freundliches Wort an ihn gerichtet hatte?
“W…wollt Ihr dann bitte kommen, werte Dame?” Mit unbeholfener Höflichkeit deutete er zur Tür hin.
“Ich will.” Hoheitsvoll nickte sie mit dem Kopf, ganz so, wie es ihrer Meinung nach eine Königin tat, wenn sie sich bei einem
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