Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
wahr sein! Es war nur ein flüchtiger Blick gewesen. Und ein Gefühl.
Da sah er, wie die Beifahrertür eines weißen Mercedes geöffnet wurde und Benjamin heraustrat. Die studentische Aushilfskraft von Meininger mit dem großen Kopf und der ewig sauberen Brille. Er sagte noch etwas in Richtung des Fahrersitzes, das Schönlieb aus der Entfernung jedoch nicht verstehen konnte, und knallte dann die Tür zu. War es das gewesen? Hatte er Benjamin gesehen? Schönlieb ging auf den Mercedes zu, der gerade den Motor startete. Als Benjamin Schönlieb sah und erkannte, blickte er ihn erschrocken an. Wobei hatte Schönlieb ihn gerade ertappt? Und wer saß da hinter dem Steuer des weißen Mercedes? Und war in den Zeugenberichten des älteren Ehepaars, das Huynh gefunden hatte, nicht von einem weißen Mercedes die Rede gewesen? Nur ein Zufall? Schönlieb beschleunigte seinen Schritt und fing an zu laufen, als der Mercedes aus der Parklücke fuhr, nein, raste, sodass die Hinterreifen einmal durchdrehten. Es quietschte kurz, dann griffen sie. Der weiße Mercedes sauste davon. Das Nummernschild! Das Nummernschild! HH- … – zu spät. Verdammt, die Suche nach einem weißen Mercedes, der in Hamburg zugelassen war, hatte schon beim ersten Suchlauf zu keinem Ergebnis geführt. Außerdem meldete sich sein Kater von heute Morgen nach dem Sprint mit einem leichten Stechen im Kopf zurück.
Der Mercedes war weg. Nur noch Benjamin stand dort auf dem Parkplatz und schaute zu Schönlieb. Schneeflocken fielen sanft auf seinen viel zu großen Kopf. Mit dem Zeigefinger schob er sich seine Brille zurecht. Schönlieb ging noch immer schwer atmend zu ihm hin.
»Wer saß in dem Auto?«, fragte er, nachdem er sich vor dem eingeschüchtert wirkenden Benjamin aufgebaut hatte.
Stille. Beide schauten sich an. Zwischen ihnen vermehrten sich die Schneeflocken, der Schneefall wurde wieder stärker.
»Hallo? Jemand zu Hause? Wer saß da im Auto?«
»Das war … eine Bekannte«, antwortete Benjamin schließlich und knetete nervös an seinen Wollhandschuhen herum.
»Und woher ist sie Ihnen bekannt?«
Wieder ließ sich Benjamin Zeit mit der Antwort, und wieder blickte er Schönlieb an, mit einem leeren, unfokussierten Blick, als wenn er in Gedanken ganz woanders wäre.
»Meine Tante. Sie hat mir nur kurz etwas vorbeigebracht.«
»Was denn?«
»Unterlagen.«
»Was für Unterlagen?«
»Fürs Studium.«
»Kann ich die mal sehen?«
Statt zu antworten, kramte Benjamin in seiner Umhängetasche herum und zog schließlich einen Schnellhefter heraus, den er Schönlieb mit leicht zitternden Händen entgegenhielt.
»Gibst du mir den Namen deiner Tante?«
»Wozu?«
Schönlieb warf einen kurzen Blick auf den Schnellhefter und konnte Paragrafen und Artikel ausmachen.
»Ich will sehen, ob der weiße Mercedes auf sie zugelassen ist.« Schönlieb ging in die Offensive. »Oder willst du mir etwas verheimlichen?«
»Nein, ähm, meine Tante heißt Martina Steiner …« Benjamin nannte ihm ohne Zögern den Namen und die komplette Anschrift. Schönlieb bedankte sich.
»Willst du mir noch etwas sagen?«
Benjamin starrte ihn wieder nur an.
»Benjamin?«
Benjamin schüttelte den Kopf und blickte an ihm vorbei.
»Dann noch einen schönen Tag, und grüßen Sie Ihre Tante von mir. Wir werden uns in den nächsten Tagen bei ihr melden.«
»Ja«, war alles, was Benjamin sagte.
Schönlieb konnte nichts machen. Er ließ Benjamin gehen. Der sah erleichtert aus, als er endlich in Richtung Campus verschwand. Der Schnee verschluckte ihn.
Schönlieb wollte nach seinem Handy greifen, doch es war nicht da. Wo ist bloß das verdammte Handy!?, fuhr es ihm wieder durch den Kopf. Die Überprüfung von Benjamins Tante musste also später erfolgen. Schönlieb war sich jedoch sicher, dass er nicht Benjamins Tante gesehen hatte. Die hätte nicht einen solchen Alarm in seinem Kopf ausgelöst. Wen hatte er gesehen? Er versuchte, sich das Bild noch einmal vor Augen zu führen. Doch es brachte nichts. Er kam nicht drauf. Schönlieb setzte seinen Weg zum Bus fort.
Plötzlich wurde ihm schlagartig übel. Es war, als hätte er den Kater von heute Morgen eine Zeit lang erfolgreich weggesperrt, doch jetzt brach er mit aller Gewalt heraus. Schönlieb wurde schwindelig, und ihm war zum Kotzen zumute. Er lehnte sich an eine Hauswand. Kurz blickte er sich um. Da, da war einer der roten Mülleimer. Darauf war ein großer Spruch aufgeklebt. »Mache mich zum Müllionär.« Schönlieb musste
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