Die Psi-Agenten
Dame, die sich bei unserem ersten Gespräch als Henrietta Van Eps vorgestellt hatte, sah lächelnd von ihrem Schreibtisch auf, als ich ihr den ausgefüllten Fragebogen reichte. »Alles in Ordnung, Mister Ableson?«
»Ich glaube schon.«
»Gut.« Sie deutete auf einen Stuhl. »Nehmen Sie bitte Platz.«
»Danke.« Ich setzte mich und beobachtete sie verstohlen, als sie meinen Fragebogen durchlas. Sie hatte tizianrotes Haar, dunkle Augen und südländische Züge. Anfangs hatte ich sie für Dreißig oder sogar für noch etwas jünger gehalten, aber nun, da sie dicht vor mir saß, erkannte ich die sorgfältig kaschierten Fältchen um die Augen und revidierte mein Urteil. Sie kam doch wohl näher an meine eigene Altersgruppe heran.
Henrietta Van Eps sah mich an. »Ah, ein Wissenschaftler – wie interessant! Welches Spezialgebiet, wenn ich fragen darf?«
»Mikrobiologie – genauer gesagt, Virus-Strukturen.«
»Faszinierend. Darüber müssen Sie mir einmal mehr erzählen.«
»Vermutlich würde ich Sie nur langweilen«, entgegnete ich. Ich war nicht hergekommen, um über meine Arbeit zu sprechen – ganz im Gegenteil.
Sie spürte meinen schroffen Tonfall, denn ihre dunklen Augen verengten sich ein wenig, aber ihr Lächeln blieb. »Kümmern wir uns erst einmal um Ihre Unterkunft.« Sie warf einen Blick auf eine Liste. »Ah, im zweiten Stock ist ein Zimmer frei. Ich zeige es Ihnen, sobald Sie Ihre Sachen aus dem Wagen geholt haben.«
Man hatte durch nachträglich eingezogene Trennwände die riesigen Säle von Halburton House in gemütliche kleine Räume unterteilt. Das Mobiliar meines Zimmers bestand aus einem Waschbecken mit warmem und kaltem Wasser, einer Frisierkommode, einem Stuhl und einem schmalen Bett.
Henrietta Van Eps war im Eingang stehengeblieben. »Hoffentlich gefällt es Ihnen«, meinte sie. »Wir leben hier ziemlich spartanisch, aber scheuen Sie sich nicht, mir Bescheid zu sagen, wenn Sie etwas brauchen.«
»Vielen Dank – ich hätte nur gern gewußt…«
»Für die Neuankömmlinge findet heute abend um acht Uhr im Großen Salon ein zwangloses Gespräch mit dem Guru statt.«
»Aber ich hatte gehofft …«
Wieder schien sie meine Gedankengänge zu durchschauen, noch bevor ich den Satz zu Ende sprach. »Ich habe eine persönliche Unterredung für morgen vormittags um elf arrangiert«, sagte sie. »Die Einführung soll Ihnen nur eine ungefähre Vorstellung von unserer Arbeit geben. Selbstverständlich können Sie dabei Fragen allgemeiner Art stellen. Das Privatgespräch ist persönlichen Dingen vorbehalten.«
Was hatte mich und all die anderen Leute hierhergebracht? War es Flucht? Oder die Suche nach Seelenfrieden? Ich versuchte die egozentrischen Gedanken abzuschütteln. Bestimmt hatte jeder der Anwesenden seine privaten Probleme.
»Das Abendessen beginnt übrigens um sieben Uhr. Der Speisesaal befindet sich im Rückgebäude – Sie müssen durch den Torbogen am Ende der Eingangsdiele gehen.«
»Vielen Dank«, sagte ich.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, erfrischte ich mich ein wenig und zog mich um. Dann trat ich ans Fenster. Üppige Grünflächen, gelegentlich aufgelockert durch Blumenrabatten, umgaben das Haus. Zur Rechten befand sich eine prunkvolle Auffahrt, gesäumt von mächtigen alten Bäumen. Ein Herrschaftssitz, dachte ich, und unwillkürlich überlegte ich, wer das hier alles bezahlte. Bei dem heutigen Arbeitskräftemangel war es sicher enorm teuer, diesen Besitz zu pflegen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die bescheidenen Gebühren, die man von uns verlangte, dafür ausreichten. Die Umgebung erschien reichlich luxuriös für ein Unternehmen, das die Abkehr von weltlichen Gütern anstrebte.
Jetzt erinnerte ich mich, daß auch in jenem Observer- Artikel die Rede von Tahagatha Anandas neuem Hauptquartier gewesen war und daß ein Jünger des Gurus in einem Leserbrief eine Erklärung dafür abgegeben hatte. Offensichtlich gehörte Halburton House einer reichen Witwe, die zu Anandas Anhängerschar zählte und ihm das Gebäude mit den umliegenden Parks für eine spottbillige Miete zur Verfügung gestellt hatte. Als ich damals den Artikel las, hatte ich mich nicht näher für den Namen der Frau interessiert, aber mir hatte unwillkürlich eine leicht übergeschnappte Matrone vorgeschwebt, die krampfhaft versuchte, ihrem leeren Leben einen Sinn zu geben. Ich lächelte. Henrietta Van Eps entsprach dieser Vorstellung ganz und gar nicht.
Kleine Gruppen von Anandas Anhängern
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