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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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als sehr enge, steinige und unzugängliche Straße. Richard, der geglaubt hatte, nun schon an die hohen Berge gewöhnt zu sein, wurde eines Besseren belehrt, als der Anstieg immer steiler wurde. Der Paß krümmte sich in immer engeren Kurven, und häufig genug mußten die Berittenen absitzen, um den anderen mit dem Wagen zu helfen. Als sie wieder einmal anhalten mußten, blickte Richard zurück, und plötzlich kam ihm ihre Gruppe so vor wie ein Haufen Ameisen, die sich um einen schlafenden Bären bemühten. Seit der Lawine nämlich sah er die Berge nicht mehr als tote Brocken aus Schnee und Fels, sondern hielt sie für durchaus lebendig und in der Lage, sich gegen unerwünschte Eindringlinge zu wehren.
    Das Wetter wurde freundlicher, und an manchen Tagen hätte man sogar mit offenem Hemd reiten können, was Eberding jedoch energisch verbot. Die Luft schmeckte klar wie der Schnee, den die Reisenden manchmal kosteten, um ihren Durst zu stillen. Richard hätte diese Reise gegen nichts in der Welt eintauschen mögen. Als sie in der kleinen Klause angelangt waren, die am höchsten Punkt des Passes lag, war er beinahe enttäuscht, denn der beschwerliche und abenteuerliche Teil der Reise schien nun endgültig vorbei zu sein. Nachdem er am Abend die seltsamen Schatten betrachtet hatte, die die untergehende Sonne auf die Spitzen der Berge malte, blieb nur ein Wunsch offen: ein heißes Bad, wie Richard es gerne regelmäßig genoß.
    »Du bist verrückt«, meinte Hänsle kopfschüttelnd, »stundenlang auf die Berge zu starren. Ich möchte nur wissen, was du dort siehst!«
    »Wenn du es wirklich wissen möchtest«, sagte Richard langsam und bemühte sich, sich nicht durch ein Grinsen zu verraten, »ich suche nach den Nachkommen der Elefanten, die Hannibal über die Alpen brachte – es müssen ihm doch ein paar entlaufen sein!«
    »Wie bitte? Aber das war doch gar nicht …«
    Hänsle begriff, daß er seinem Freund auf den Leim gegangen war. »Du Idiot!« sagte er aus tiefstem Herzen und stimmte dann in Richards Gelächter mit ein.
    Es erwies sich, daß sie mit ihrer Ankunftszeit in der Klause Glück gehabt hatten. Über Nacht zogen sich Wolken zusammen, und am nächsten Tag brach ein Sturm los, der sie mehrere Tage an ihrem Zufluchtsort festhielt, was Eberding jedoch nicht übermäßig beunruhigte.
    »Schließlich«, erläuterte er seinen Gehilfen, »hat der Jaufenpaß uns ohnehin einiges an Zeit erspart. Der Weg über Meran nach Bozen ist kürzer als der über Brixen, nur eben sehr viel beschwerlicher.«
    Als das Unwetter sich verzogen hatte, war der Himmel immer noch verhangen und die Luft trüb. Trotzdem entschied Eberding, weiterzureiten. »In zwei bis drei Tagen können wir in Bozen sein!«
    Als sie schon fast die Hütte erreicht hatten, die Wärme und Sicherheit versprach, machte Richard in der Ferne mehrere dunkle Punkte aus, die sich scharf gegen den Hintergrund abzeichneten. Körper, so schien es, als sie sich näherten, und ein größerer unförmiger Gegenstand. Leichen. Richard spornte sein Pferd an, ohne auf Eberdings Warnruf zu achten.
    Er konnte es immer deutlicher sehen – dort lagen Männer und Frauen neben einem umgestürzten Wagen, dessen Abdeckplane zerrissen war. Er glitt aus dem Sattel. Augenscheinlich hatten hier Strauchdiebe ihr Unwesen getrieben. An den Ohren der Frauen, die wohl mit Schmuck behängt gewesen waren, klebte verkrustetes Blut.
    Eberding war hinter ihm hergeritten und legte jetzt seine schwere Hand auf Richards Schulter. »Ihr seid der leichtsinnigste Kerl, der mir je untergekommen ist«, sagte der Kaufmann zornig. »Die Räuber können noch in der Nähe sein, und all dies hier«, er deutete mit einer weitausholenden Geste um sich, »hätte auch eine List sein können, um uns hierherzulocken!«
    Richard machte sich wortlos frei. Offene, zu tonlosen Schreien erstarrte Münder, zu Grimassen verzerrte Gesichter lagen vor ihm im Schnee. »Wer mögen sie sein?« hörte er sich fragen.
    Eberdings Stimme klang kaum besänftigt. Er wies auf die Kleider. »Zigeuner. Wer sonst trägt diesen Flitter?«
    Jetzt bemerkte auch Richard, daß diese Menschen irgendwie ungewöhnlich aussahen – die dunkle Haut, die schwarzen Haare, die bunten, seltsamen Kleider, die so gar nicht zu der Umgebung und Jahreszeit passen wollten. Eberding zog ihn am Arm.
    »Kommt jetzt endlich. Solche Dinge geschehen nun einmal, und besser die Zigeuner haben dran glauben müssen als wir. Sie sind ohnehin größtenteils ein

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