Die Quelle
Bis sich dann neue Wege und neue Ziele zeigen.“
Neue Ziele… Hatte sie eigentlich jemals eigene Ziele
verfolgt? Hatte sie sich das Ziel, die Quelle zu erhalten, nur eingeredet?
Hatte sie einst bei ihrer Verschmelzung mit dem König sein Ziel mit den
Ihren verwechselt? Nun erst wurde ihr bewusst, weshalb sie so zornig geworden
war, als sie erkannt hatte, wie machtgierig der König war, als sie gesehen
hatte, dass er nicht bereit war, auf seine Unsterblichkeit zu verzichten,
obwohl sie jetzt durchschaut hatte, dass er es konnte. Es lag allein in der
Hand des Königs, die Götter endgültig zu besänftigen, und
dennoch weigerte er sich.
Während sie versuchte für die einstigen Ziele
des Königs zu kämpfen, hatte er diese längst außer Acht
gelassen. Was hatte sie dazu gebracht, für ihn diesen Kampf zu
führen? War sie Schuld an dem Krieg, nur weil sie nicht fähig war,
mit dem sterblichen Gefühl der Liebe umzugehen? War sie nur geblendet
worden? Sie blickte plötzlich verunsichert auf Sihldan, den Freund, der
ihr geblieben war, denjenigen, dem sie vertrauen konnte und mehr Weisheit besaß,
als ihm bewusst war.
„Ich glaube ich muss überdenken, was überhaupt
noch wichtig ist… Neue Ziele suchen, wie du gesagt hast…“
„Du weißt wo ich bin, falls du mich brauchst.“
Sie nickte ihm zu, während er aufstand und ihr das
Lächeln eines Freundes schenkte.
*
Anthalions Armee, oder zumindest das, was von ihr
übrig geblieben war, befand sich in Sicherheit auf den Schiffen. Selimka
wachte über sie, während Kegalsik sich in ihrer Nähe von dem
Krieg erholte, den er gegen seinen einstigen Verbündeten geführt
hatte. Der Gott des Krieges erhielt genügend Gebete, um sich rasch zu
erholen, womöglich sogar, um gegen Balderia und Iridien zu siegen...
So dachte Anthalion, während er an Deck des Schiffes
hin und her ging, auf der Suche nach Antworten. Er hatte durch Kegalsik von
ihrer Niederlage in Ker-Deijas erfahren. Auch Kegalsik konnte nicht
nachvollziehen, was Balderia und Iridien dazu bewogen hatte, das Lager zu
wechseln. Hatten sie nicht einst dieselben Ziele verfolgt? Anthalion
zögerte lang, doch schließlich entschied er sich dafür, seine
Geschwister zu rufen. Er ahnte, dass die Situation in der sich beide Lager
jetzt befanden, auch die beiden verräterischen Götter veranlassen
konnte, sich jetzt mit ihm beraten zu wollen. Anthalion hatte sich auf diesen
Krieg nur eingelassen, weil alle Götter ihm das Versprechen gegeben
hatten, ihn wieder als ihresgleichen aufzunehmen. Was war nun aus ihrer
Vereinbarung geworden? Was würde ihn nach dem Tod seiner menschlichen
Hülle erwarten?
Er ging in seine Kabine und konzentrierte sich auf sein
Gebet. Er rief Iridien und Balderia gleichzeitig. Er hatte kaum etwas zu
befürchten, denn sie hatten nur schwachen Einfluss auf die materielle
Ebene. Was hätten sie ihm denn antun können, wogegen er nicht in der
Lage war, sich zu wehren? Er hatte genug Energie in sich geladen, um sie auf
ihre Ebene zurückzuschicken, falls sie versuchen sollten, seinem Geist zu
schaden. Die Antwort ließ nicht auf sich warten, was ihm bewies, dass sie
bereits ihre Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatten. Er spürte die
Kälte ihrer Nähe, er spürte ihre wirren göttlichen Gedanken
und nur wenig später wusste er, was es zu wissen gab.
Die Götter hatten dem Kind der Quelle die Aufgabe
übertragen, des Königs Tod herbei zu führen. Welch eine Ironie!
Balderia und Iridien warteten nun darauf, dass das Kind diese Bedingung
für ihre Allianz erfüllte. Anthalion brauchte also bloß zu
warten und sein größter Feind würde von seinem eigenen
Verbündeten vernichtet. Er konnte nicht umhin, Balderia für diesen
Plan zu bewundern. Sollte es dem Kind gelingen, den König in den Tod zu
treiben, so würde das Auslöschen des Volkes der Wächter
hinfällig werden. Das Kind hatte jedoch im Gegenzug dazu verlangt, das Tor
zur Quelle wieder zu öffnen. Nach langem Zögern hatten beide
Götter die Bedingung des Kindes akzeptiert. Das konnte Anthalion nicht
nachvollziehen.
Er hatte versucht Balderia und Iridien auf den einstigen
Verrat hinzuweisen, als das Volk der Wächter sich den Göttern
entfremdet hatte. Hatte nicht Balderia damals selbst entschieden, Anthalion mit
Verbannung zu strafen, weil er verschuldet hatte, seinem Volk den Weg zum
Gebiet der Quelle zu zeigen?
Heute hatte Balderia jedoch nur Spott für seinen
Einwand übrig gehabt... Stella hatte in Anthalia bewiesen, dass die
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