Die Quelle
jetzt so etwas von ihr verlangen? Mit solch
Leichtigkeit hatte er über die Zerstörung einer ganzen Armee
gesprochen… Hunderte von Menschen, wollte er von ihr töten lassen, ohne
ihnen die Chance zu gewähren, sich zu ergeben. Auch ohne eine Vision
aufzurufen, konnte sie bereits die entsetzten Schreie der ertrinkenden Menschen
hören!
„Nein. Wir sollten nur einige Männer in
Strandnähe postieren, um Anthalions Armee zu beobachten. Inzwischen
sollten wir uns etwas anderem widmen.“
Als ihr Blick den See streifte, wusste jeder, was sie
meinte.
„Um den See wieder mit der Energie der Quelle zu
vereinen, brauchen wir die Hilfe der Götter, der Kinder der Quelle und die
eines Menschen. Die Götter werden uns erst helfen, wenn wir ihre
Bedingungen erfüllen.“
Nun galten ihre Worte dem König und sie sah ihn
eindringlich an.
„Du musst einen Weg finden, deine Unsterblichkeit
rückgängig zu machen. Das ist ihre Bedingung.“
König Leathan musste anscheinend nicht lange
überlegen, ehe er antwortete.
„Könnte ich es, hätte ich es längst getan.
In all den Jahren der Einsamkeit und der Verbannung, gab es kaum etwas, das mir
reizvoller schien als der Tod.“
„Wirklich? Du solltest länger darüber
nachdenken.“
Der Sarkasmus in Ihrer Stimme war nicht zu
überhören gewesen. Erstaunte Blicke richteten sich auf sie, doch
Stella wartete nicht auf Fragen und schon gar nicht auf die Antwort des
Königs. Sie verließ die Runde, wie sie gekommen war. Sie hielt es
nicht mehr aus, so viel zu wissen, sie wollte nicht fertig bringen, was sie
angefangen hatte. Fiebrig überlegte sie, ob es irgendwo einen Zufluchtsort
gab, in dem sie einfach Vergessen finden konnte... König Leathan sprang
jedoch auf und ging ihr nach. Als er sie am Arm zurückhielt, konnte Stella
nicht anders, als ihm einen eisigen Blick zuzuwerfen. Er ließ sie
daraufhin erschrocken los, doch sie empfand keinerlei Mitleid für ihn, der
gerade seine Bereitschaft gnadenlos zu töten bewiesen hatte. Sie empfand
keinen Mitleid, nicht einmal mehr Zuneigung... Ihre Gefühlswelt war
irgendwann gestorben, als hätte Anthalions Folter sie eingeholt, als
würden die Qualen, die sie erlitten hatte, jetzt erst die letzte
heimtückische Wirkung entfalten... als töteten sie jetzt erst, das
Wertvollste, was Stella gefunden hatte: ihre Liebe zu diesem Mann, den sie
jetzt zerstören würde. Sie wandte sich von ihm ab, um die
Erklärung zu geben, die er offensichtlich erwartete.
„Jetzt zu sprechen wäre sinnlos. Ich habe dir
gesagt, dass du erst darüber nachdenken solltest. So wie du auch
hättest nachdenken sollen, als du vorgeschlagen hast, einfach alle Schiffe
zu zerstören. Das Leben anderer interessiert dich wohl kaum noch. Wo
liegen deine Prioritäten, mein König? Im Morden? In deinem
Überleben? Im Herrschen? Denk nach, König, denk darüber nach,
wer du geworden bist!“
„Der zu dem du mich gemacht hast, Stella!“
„Ich habe dir nur Wissen geschenkt. Die Verantwortung
für deine Taten trägst du allein. Ich spüre Unehrlichkeit in
dir, mein König. Verbirgst du die Wahrheit nur vor mir, oder auch vor dir
selbst? Gehe in dich, finde zu dir zurück. Ich bitte dich darum.“
*
Sihldan und Esseldan schickten jeweils zwei ihrer Krieger
los, um die Schiffe zu beobachten. Beide hatten in den vergangenen Monaten viel
Zeit miteinander verbracht und obwohl sie zu unterschiedlich waren, um jemals
Freundschaft füreinander zu empfinden, so verband sie großer
Respekt. Beide teilten sorgenvolle Blicke, als sie Stella und den König
streiten sahen. Stella war wieder an das Ufer des Sees gegangen, hatte sich
gesetzt und war in Meditation versunken. Ihre Augen waren zwar offen, doch ein
unnatürlicher blauer Schleier hatte sich darüber gelegt, als seien
sie von Nebel umhüllt. Der König hatte sich in den Wald
zurückgezogen, als würde er sich wieder nach der Einsamkeit der
Jahrhunderte sehnen, aus der er gerade entkommen war.
Esseldan seufzte. „Sollten wir den beiden wirklich blind
folgen?“
Sihldan sah von Stella weg, um Esseldans Frage zu beantworten.
„Ich vertraue ihr, aber blind bin ich ihr nie gefolgt.
Wir sollten aufhören, sie wie eine Göttin zu behandeln. Hier und
jetzt ist sie ein Mensch, auch wenn sie mächtig ist. Sie hat viel zu viel
durchgemacht, um noch klar denken zu können. Wir sollten ihr helfen, statt
ständig von ihr zu fordern.“
Sihldan ließ Esseldan stehen und ging zu Stella,
seinen eigenen Worten gehorchend. Ohne zu
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