Die Quelle
bückte sich Ruvin, hob einen
Becher auf, der unmittelbar beim Feuer gestanden hatte und drückte ihn
Leathan in die Hand.
„Ich habe dir einen Tee gemacht, vielleicht hilft es dir
ja.“
Schlagartig wich Leathans schlechte Laune. Er erinnerte
sich an die Situation in Ker-Deijas, als sie sich fast gestritten hätten,
nur weil Ruvin ihn hatte in der Nacht wecken müssen, und ihm klar geworden
war, dass es keinen Kaffee in dieser Welt gab. Leathan starrte ungläubig
auf den Inhalt des Bechers. Es handelte sich nur um einen Kräutertee und er
war ungesüßt, doch so aufmerksam war Ruvins Geste, dass Leathan ihn
dankbar anlächelte, sich zum Feuer setzte und langsam an dem heißen
Getränk nippte. Ruvin überließ ihn sich selbst und ging einige
Schritte weiter, bis zu einer Anhöhe, von wo aus man ein besseres
Blickfeld sowohl über den Hain als auch über die Weite der
Prärie hatte.
Die Wolken hatten sich im Laufe der Nacht verzogen und
der Himmel war sternenklar. Leathan konnte sich nicht daran erinnern, jemals so
viele Sterne gesehen zu haben und er bedauerte es sehr, sich in keinem seiner
vorherigen Leben die Mühe gemacht zu haben, Sternbilder zu studieren. Er
hätte zu gerne gewusst, ob man von hier aus im Himmel etwas Vertrautes
wieder finden konnte. Wo im Universum befand sich eigentlich diese Welt? War er
in einer parallelen Dimension gelandet und blickte er auf dasselbe Sternbild,
wie es in Lisas Welt zu sehen war, oder war er einfach nur auf einen anderen
Planeten gerufen worden? Das waren Fragen, die vermutlich unbeantwortet bleiben
würden. Nur über eines war sich Leathan sicher: er war sehr weit von
Lisas Heimatwelt entfernt.
Leise Klänge holten ihn aus seinen Träumereien
heraus. Leathan konnte hören, wie Ruvin sich der Macht der Quelle
bediente… Er trank den letzten Schluck Tee, stand auf und ging langsam zur
Anhöhe, von der aus Ruvin die Ferne zu beobachten schien. Jetzt bereute es
Leathan, sich als Begleitschutz Esseldan statt Ruvin gewünscht zu haben.
Allein dies gedacht zu haben, erschien ihm wie ein Verrat an Ruvin.
„Hat der Tee geholfen?“, wollte Ruvin wissen und
gleichzeitig verstummten die Klänge. Die Herzlichkeit, mit der Ruvin ihm
begegnete, verstärkte noch Leathans schlechtes Gewissen.
„Mehr als du denkst. Danke… Ich dachte, auf dem Weg zur
Quelle versucht ihr ohne Magie auszukommen.“
Ruvin zuckte mit den Schultern.
„Unsere Aufgabe ist zu wichtig, als dass wir irgendetwas
riskieren sollten. Ich habe die Umgebung nach Gefahren abgesucht…“
Leathan fragte sich, weshalb Ruvin nicht beim warmen
Lagerfeuer geblieben war, wenn es so einfach war, die Umgebung zu erkunden,
doch er zog es vor, diesen Gedanken nicht auszusprechen. Er wollte nicht den
Eindruck erwecken, er würde sich erneut beklagen wollen. Ruvin bemerkte
anscheinend, wie Leathan sehnsüchtig auf das warme Feuer gesehen hatte,
doch er machte keine Anstalten, seinen Aussichtspunkt zu verlassen. Stattdessen
durchforstete sein Blick die dunkle Prärie.
„Ich habe kein gutes Gefühl...“
„Wie meinst du das?“
„Ich habe manchmal Vorahnungen… Keine Visionen wie du,
dafür wäre ich ohnehin noch zu jung, selbst wenn ich die Gabe
hätte, aber… meistens passiert etwas, wenn ich so ein Gefühl habe….
Lies in mir, Leathan, dann verstehst du besser, was ich meine… vielleicht
kannst du eine Vision dazu aufrufen und genaueres erfahren.“
Ruvin sah Leathan gequält an, es wirkte fast so, als
flehe er um Hilfe. Wie gerne hätte Leathan ihm geholfen, aber er konnte
sich noch zu gut an seine letzten Visionen erinnern. Er wollte so etwas nicht
noch einmal durchleben.
„Ich weiß nicht recht, ob ich das versuchen sollte.
Beim letzten Mal war das, was ich gesehen habe, wirr und erschreckend. Ich
glaube nicht, dass ich da helfen kann. Bleiben wir einfach auf der Hut, ja?“
„Sind es diese Visionen, die dich gestern gequält
haben?“
Ja, so war es… Seine Angst war aus etwas geboren, das
womöglich nur ein Hirngespinst war…
„Ja… Es war dumm von mir, sie überhaupt zu
beachten…“
Ruvin näherte sich ihm und sah ihn eingehend an, als
überlege er, mit welchen Worten er Trost spenden konnte.
„Nein, ist es nicht. Es wäre dumm von dir, eine
Vision zu ignorieren… Würdest du sie mir zeigen?“
„Wie meinst du das?“
„Würdest du deine Erinnerung mit mir teilen…
telepathisch…“
Ein seltsames Gefühl erfasste Leathan… Nein, er
wollte es nicht… Nicht nur, weil seine
Weitere Kostenlose Bücher