Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
junge Frau noch einmal eindringlich davor gewarnt hatte, ihn zu verraten, verließ er sie. Im Vorraum kauerte sein Diener neben dem Bett der Magd, die gefesselt und geknebelt in ihrem Bett lag.
Zusammen verschwanden sie ebenso lautlos, wie sie gekommen waren. Wieder zurück in seinem Zimmer holte William de Thorigny ein kleines Tongefäß aus seinem Gepäck und reichte es dem Diener.
»Morgen in der Frühe mischst du dieses Gift in die Mahlzeiten der Lady und ihrer Magd. Es wird die Frauen an einem plötzlichen heftigen Fieber erkranken und schnell sterben lassen. Ich glaube zwar eigentlich, dass die beiden so eingeschüchtert sind, dass sie nichts von dieser Nacht verlauten lassen werden. Aber ich will lieber kein Risiko eingehen.«
Im Grunde genommen, fand William, hat Lady Agnes für ihre Lüge und den Schaden, den sie mir damit zugefügt hat, ohnehin den Tod verdient.
*
Unsicher blickte sich Adela im vorderen Hof des Klosters von Barking um. Sie erkannte den gedrungenen Bau der Kirche wieder, dessen Steine an diesem schwülen, bedeckten Maitag eine mattgraue Farbe hatten. Sie glaubte auch, sich daran erinnern zu können, welches der angrenzenden Gebäude das Haus der Äbtissin war. Doch das meiste von ihrem Aufenthalt in Barking war aus ihrem Gedächtnis entschwunden.
Auch auf ihrer Reise mit Yvain war es ihr so ergangen. Durch einige Gegenden musste sie, nachdem sie sich aus der Themse gerettet hatte, geirrt sein. Doch diese Landschaften waren ihr nun ebenfalls gänzlich fremd.
Zu Adelas Erleichterung hatte die Nonne am Eingang sie nicht erkannt. Denn sie hätte nicht die Kraft gehabt, neugierige und aufgeregte Fragen zu beantworten.
»Soll ich Euch jetzt allein lassen?«, hörte sie Yvain gelassen fragen.
»Nein, bitte bleibt.« Adela wandte sich ihm impulsiv zu. »Ich habe auf einmal so große Angst, dass Robin vielleicht nicht mehr lebt und ich zu spät gekommen bin.«
»Diese Sorge ist ganz bestimmt völlig unbegründet …«
»Oder dass sie sich wieder vor mir fürchtet.«
»Adela«, Yvain berührte sie am Arm, »jetzt quält Euch doch nicht länger …« Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen. Doch er brach ab und Adela bemerkte, dass er in Richtung des Tors blickte, durch das sie eben geschritten waren.
Eine Frau Anfang dreißig stand dort und starrte sie aus weit aufgerissenen, braunen Augen an. Sie trug ein einfaches helles Wollkleid, und eine blonde Locke fiel ihr unter dem Schleier in die Stirn. Etwas an ihr kam Adela sehr bekannt vor. Zwei Kinder, das bemerkte Adela jetzt, liefen hinter der Frau her. Ein schlaksiger, elf oder zwölf Jahre alter Junge, der ein nachdenkliches Gesicht und einen ausdrucksvollen Mund hatte. Das kleine Mädchen, das er an der Hand hielt, hatte leuchtend rote, lockige Haare. Die beiden Kinder sahen sich sehr ähnlich.
»Adela …«, keuchte die Frau in dem hellen Kleid auf und presste die Hand gegen den Mund. »Adela … Das ist doch nicht möglich.« Ihr Gesicht verzerrte sich in ungläubiger Überraschung.
Adela erkannte Anns Stimme sofort. Sie wollte auf ihre Schwester und die Kinder zulaufen. Doch sie konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Sie nahm wahr, dass Yvain etwas vor sich hinknurrte, das wie ein Stoßgebet oder wie ein Fluch klang. Dann fasste er sie um die Schultern und führte sie sanft, aber bestimmt in Richtung ihrer Familie.
Plötzlich rannte Ann los. »Adela«, schluchzte sie und fiel ihr um den Hals. »Du bist es wirklich und keine Erscheinung. Wie ist das möglich …«
Auch Adela begann zu weinen und klammerte sich einige Momente an ihrer älteren Schwester fest.
»Mutter …« Luce war an sie herangetreten. Seine Stimme klang zweifelnd.
»O Luce«, flüsterte Adela. »Du bist so groß geworden … Und du siehst deinem Vater so ähnlich …« Sie tastete über sein Gesicht und seine Brust. So lange hatte sie ihn nicht mehr berührt. Er umarmte sie linkisch, während gleichzeitig ein breites Lächeln seine eben noch so unsichere Miene erhellte.
Robin war ein Stück hinter ihrem Bruder und Ann stehen geblieben. Sie hielt einen kleinen Korb, in dem Eier lagen, wie abwehrend gegen ihren Körper gepresst.
Ob sie sich daran erinnert, dass ich sie töten wollte? , dachte Adela. Ob sie gleich vor mir weglaufen wird? Die Freude, die sie eben noch empfunden hatte, verschwand.
»Robin, das ist unsere Mutter.« Luce hob seine kleine Schwester hoch und wirbelte sie herum. Sie stimmte in sein Lachen ein. Er trug sie zu Adela und setzte
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