Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
hinaus. Sie stolperte über eine Unebenheit, raffte sich wieder hoch und hetzte davon.
*
Auf der Treppe zu ihrer Dachkammer kam ihr ihre Wirtin mit einer Kerze in der Hand entgegen.
»Ich habe auf Euch gewartet«, fuhr die pummelige Frau sie an. »Ihr seid mir noch die Miete für die vergangenen beiden Wochen schuldig. Versucht nur nicht, mich noch einmal zu vertrösten.«
Wortlos öffnete Adela die Börse an ihrem Beutel und gab ihr die verlangte Summe. Dumpf dachte sie, dass ihr nun nur noch wenige Pence blieben.
»Wie habt Ihr Euch denn hergerichtet?« Die Wirtin fasste sie scharf ins Auge und musterte sie in dem unsteten Licht von oben bis unten. Erst jetzt wurde Adela bewusst, dass sie noch geschminkt war und die Kleider einer Hure trug.
»Ich habe nicht …«, begann sie.
Doch die Wirtin schob ihr breites Kinn vor und unterbrach sie schroff. »Und Eure Tochter habt Ihr auch noch ins Bordell mitgenommen. Ihr solltet Euch wirklich schämen. Ich dulde keine Hure in meinem Haus. Morgen sucht Ihr Euch eine andere Bleibe.«
»Bitte, meine Tochter ist sehr krank …«, flehte Adela. Robins Körper war ganz schlaff, obwohl sie nicht schlief, und ihr kleines Gesicht hatte eine wächserne Farbe.
»Nun, das ist wahrscheinlich die Strafe für Euer sündhaftes Tun«, erklärte die Wirtin von oben herab. Aber dann, als Robin wieder leise vor sich hin wimmerte, wurde ihre Miene ein wenig milder. »Morgen wird der König in der Stadt erwartet. Deshalb wird ein großes Fest stattfinden. Den Tag könnt Ihr meinetwegen noch bleiben. Aber danach müsst Ihr gehen.« Ihre Stimme klang überrascht, als könne sie ihre eigene Großzügigkeit kaum glauben.
Zu Adelas Erleichterung zog sie sich endlich in ihre Wohnung zurück und gab den Weg auf der engen und steilen Holzstiege frei.
Oben in der Kammer legte Adela Robin auf den Strohsack und kniete sich davor. Sie wollte tröstend auf ihre Tochter einreden. Doch sie musste die Lippen zusammenpressen, um das Schluchzen zu unterdrücken, das in ihrer Kehle aufstieg. Nach einer Weile schlief das Kind endlich ein. Aber immer wieder verzog sich sein Gesicht, als ob es selbst noch im Schlaf von Schmerzen gequält würde.
Keine Bleibe mehr … Kein Geld mehr … Keine Möglichkeit, in der nächsten Zeit etwas für mich und Robin zu verdienen …
Adela vergrub ihr Gesicht in den Händen. Wenn sie als Bettlerin auf der Straße leben musste, würde Robin bestimmt nur noch wenige Tage überleben. Weshalb nur hatte sie sich in dem Bordell nicht besser beherrscht und den Freier ertragen? Robin durfte nicht sterben … Aber was sollte sie nur tun? Noch einmal würden die Huren sie bestimmt nicht ins Haus lassen.
Der König wird morgen in die Stadt kommen … Die Worte der Wirtin hallten in Adela nach, während sich in ihr eine verzweifelte Idee zu formen begann. Ihre Mutter hatte Henry auf die Welt gebracht und sein Leben gerettet. Das Leben des Königs für das meiner Tochter , dachte sie. Vielleicht würde er sich ja erweichen lassen. Sich ihm zu Füßen zu werfen und für ihre Tochter zu bitten, war der letzte Ausweg, der ihr blieb.
Nachdem sich Adela mit dem wenigen Wasser, das sie in der Kammer vorrätig hatte, notdürftig die Schminke abgewaschen hatte, zerrte sie sich das rot gefärbte Kleid vom Leib und schlüpfte in ihr eigenes Gewand. Dann legte sie sich zu Robin auf den Strohsack und breitete den Mantel und die dünne Decke über sich und das Kind. In der Nacht träumte sie davon, dass sie versuchte, vor William de Thorigny zu fliehen. Mal rannte sie über sommerlich grüne Felder vor ihm davon, dann wieder durch einen dichten Wald oder durch eine tief verschneite Landschaft. Immer aber fing er sie ein und schleppte sie in das Gutshaus, wo er sie in ihrem Ehebett vergewaltigte.
Wenn sie aufwachte und nach Robin tastete, fragte sie sich, was sie tun sollte, wenn ihr Peiniger im Tross des Königs mitritt. Sie fand keine Antwort darauf, außer dass sie aus dem Moment heraus entscheiden musste.
*
Als Adela kurz nach Anbruch der Morgendämmerung erneut erwachte, prasselte ein heftiger Regen auf das Strohdach, und der Wind riss an den Büscheln und an dem Laden, der die Fensterluke verschloss. Auch Robin regte sich und begann leise vor sich hin zu jammern, so als hätte sie noch nicht einmal mehr die Kraft zu weinen. Während Adela in dem wenigen Licht, das durch die Ritzen des Ladens fiel, Wasser in einen Rest gemahlenen Hafers rührte, erfasste sie wieder eine dumpfe
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