Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
spähe sein Umfeld aus. Die Aussichten, Adela irgendwo unter seinen Leuten zu finden, dürften gut stehen.«
*
In Gedanken versunken überquerte Ann eine der am Fluss gelegenen Obstbaumwiesen des Klosters. Die letzten Stunden hatte sie im Wald verbracht und Kräuter gesammelt. Dabei war ihr – wie schon den ganzen letzten Tag über – Simon de Bohun einfach nicht aus dem Sinn gegangen. Noch nie war ihr ein Mensch begegnet, der sie so irritiert und gleichzeitig so ärgerlich gemacht hatte. Ach, er ist einfach völlig von sich selbst eingenommen, versuchte sie, sich zu sagen. Außerdem führt er ein sündhaftes, liederliches Leben. Und doch … Sie konnte nicht abstreiten, dass sich Simon Luce gegenüber sehr ernsthaft und liebevoll verhalten hatte.
Die Hauptsache ist, dass Luce diesen Simon mag und er sich in der Gegenwart meines Neffen verantwortungsbewusst benimmt, sagte Ann sich weiter. Mehr muss mich Simon de Bohun nicht interessieren.
In den bereits abgeernteten Bäumen entdeckte Ann plötzlich einen Apfel, der beim Pflücken übersehen worden war. Rot und verlockend leuchtete er im Sonnenlicht zwischen dem welken Laub hervor. Eigentlich ist es eine Verschwendung von Gottes Gaben, ihn verrotten zu lassen, überlegte sie.
Kurz entschlossen stellte Ann ihren Korb mit den Kräutern neben dem Baum ab und zog ihre Schuhe mit den klobigen Holzsohlen aus. Dann griff sie in die unteren Äste, stützte sich mit ihren nackten Sohlen am Stamm ab und kletterte in die Krone hinauf. Erst als Ann den Apfel in der Hand hielt, begriff sie, dass es schon Jahre her war, seit sie ohne die Hilfe einer Leiter auf einen Baum gestiegen war. Ja, zum letzten Mal hatte sie dies auf dem elterlichen Gut getan. Ein ganz ungewohnter Übermut erfüllte sie, während sie sich auf einer breiten Astgabel niederließ und in den Apfel biss.
Gleich darauf bereute sie jedoch, auf den Baum geklettert zu sein, denn ganz in der Nähe konnte sie Stimmen und das Geräusch von Pferdehufen hören, und ihr wurde klar, wie unschicklich sie sich eigentlich benahm. Tatsächlich trat nun Simon de Bohun durch eine breite Lücke in der Brombeerhecke. Luce ritt ohne Sattel und Zaumzeug neben ihm auf einem großen Fuchs. Ann blieb der Apfelbissen im Hals stecken. Es wäre ihr noch lieber gewesen, von Knechten oder sogar von ihren Mitschwestern auf dem Baum entdeckt zu werden als ausgerechnet von diesem Simon.
Sie hoffte, dass er und ihr Neffe sie nicht bemerken würden. Aber Guy, der hinter den beiden herlief, nahm ihre Witterung auf. Fröhlich bellend rannte er über die Wiese und sprang dann am Stamm hoch, um sie zu begrüßen. Ann liebte den Hund sehr, aber in diesem Moment wünschte sie ihn ans Ende der Welt.
»Tante Ann!«, rief Luce überrascht, als er sie in der Krone entdeckte. »Was tust du denn dort oben?«
Ann unterdrückte eine Verwünschung und kletterte, so schnell sie konnte, von dem Baum hinunter. Wie sie nicht anders erwartet hatte, gab sich Simon de Bohun nicht die geringste Mühe, seine Belustigung zu verbergen. »Oh, Ihr seid also der Versuchung erlegen«, sagte er und deutete lächelnd auf den angebissenen Apfel in ihrer Hand. »Aber es ist wirklich eine sehr schöne Frucht. Auch Eva hätte ihr bestimmt nicht widerstehen können.«
»Nimm du ihn.« Verlegen reichte Ann Luce den Apfelrest, der ihn dankbar entgegennahm.
»Auch damit könnt Ihr die Tat nicht ungeschehen machen.« Simons Lächeln wurde noch breiter.
»Wisst Ihr, was mich an der Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies immer wirklich ärgert?«, sagte Ann, die ihre Fassung wiedergewonnen hatte, und bedachte ihn mit einem kühlen Blick. »Dass auch Adam nur zu gerne von dem Apfel isst, die alleinige Schuld aber Eva zuschiebt.«
»Da habt Ihr ganz Recht.« Simon verbeugte sich. »Ich jedenfalls würde niemals eine Dame für eine Tat büßen lassen, an der auch ich beteiligt war.«
Wahrscheinlich spielt er damit auf seine erotischen Abenteuer an , ging es Ann durch den Kopf, und sie fühlte sich wieder unbehaglich.
Luce hatte den Apfel mittlerweile verspeist und warf den Stiel im hohen Bogen ins Gras. »Tante Ann, Simons Pferd heißt Lancelot wie der Ritter aus den Artus-Geschichten«, sagte er eifrig. »Vorhin bin ich mit Lancelot galoppiert und über einen Zaun gesprungen. Er ist ein wunderbares Pferd.« Zärtlich streichelte er den Hals des Tieres.
»Und du bist ein wunderbarer Reiter.« Simon schenkte Luce, der vor Stolz errötete, ein Lächeln voller
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