Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
Marktplatz singen hören. Sein Lied war gar nicht frivol gewesen, wie sie zuerst erwartet hatte, als sie seine schlanke Gestalt mit der Harfe in den Händen am Rand der Buden bemerkte. Im Gegenteil. Die Melodie hatte einen eigentümlich süßen und wehmütigen Klang, und die Verse handelten von Vergänglichkeit und Abschied. Trotzdem hatte ihm eine große Menschenmenge wie gebannt gelauscht. Nun ja, darunter waren viele Frauen gewesen.
Meine Geschlechtsgenossinnen scheinen Simon wirklich zu lieben, dachte Ann bissig und widmete sich wieder der Wurzel. Selbst Schwester Eustachia, der für ihre Brummigkeit gefürchteten Leiterin des Gästehauses, zaubert er ein Lächeln aufs Gesicht.
» Wenn ich Euch zur Hand gehen dürfte …«, hörte sie plötzlich eine Männerstimme sagen. Als Ann aufblickte, stand Simon neben ihr. Sie war so in ihre Arbeit vertieft gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie er in den Garten gekommen war. Ehe sie etwas erwidern konnte, hatte er schon den Strunk mit beiden Händen gepackt und ihn zu ihrem Verdruss mit einem einzigen kräftigen Ruck aus der Erde gezogen.
»Ihr habt gute Vorarbeit geleistet.« Er lächelte sie an. »Ich bin gekommen, um mich von Euch zu verabschieden.«
»Habt Ihr Luce schon Lebewohl gesagt?«, fragte sie spröde.
»Ja.« Er nickte.
»Es fällt ihm sicher schwer, Euch gehen zu lassen.« Wann immer es Luce möglich gewesen war, hatte er sich bei Simon aufgehalten. In seiner Gegenwart, das hatte sie schmerzlich bemerkt, war er völlig aufgeblüht. So fröhlich und lebendig hatte sie ihren Neffen selten einmal erlebt.
»Mir ist es auch schwergefallen, mich von ihm zu verabschieden«, erwiderte Simon ruhig. »Manchmal glaube ich, Francis in ihm zu sehen, wie er als Junge war. Seine Art, den Kopf leicht schief zu halten, wenn er sich auf etwas konzentriert. Manche seiner Bewegungen … Oder wie er sich an Kleinigkeiten freuen kann …«
Ob er selbst gerne Kinder hätte ?, ging es Ann plötzlich durch den Kopf. Aber über was dachte sie da eigentlich nach? Das ging sie schließlich nichts an.
»Ich wünsche so sehr, dass Ihr Adela findet«, sagte sie verlegen. »Ich bin so froh, dass Ihr diese Suche auf Euch nehmt …«
»Falls Ihr doch noch ein Lebenszeichen von Eurer Schwester erhalten solltet, wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr mir eine Nachricht zukommen lassen könntet. Lord Hugh of Lexham ist ein Freund von mir«, erwiderte Simon und ging über ihre Verlegenheit hinweg. »Sein Gut befindet sich in den Downs, in der Nähe von Hastings. Spätestens im Frühjahr werde ich ihn aufsuchen.«
»Ja, natürlich, das werde ich tun.« Ann nickte. Einen Moment rang sie mit sich. »Ich muss mich bei Euch entschuldigen«, platzte sie dann heraus. »Ich hatte kein Recht, Eure Musik als sündhaft zu beurteilen. Ich habe Euch vor ein paar Tagen in Bellême auf dem Marktplatz singen hören. Euer Lied war sehr schön.«
»Euer Kompliment ehrt mich.«
Ann glaubte schon, Simon wolle sich wieder über sie lustig machen, aber sein Lächeln war aufrichtig. »Ich bedaure meinerseits, dass ich Eure Entscheidung, hier in diesem Kloster zu bleiben, angezweifelt habe. Dazu war ich nicht berechtigt.«
Eine Windböe blies über den Garten, wirbelte das Laub auf den Beeten hoch und zerrte an Simons weitem Mantel. Mit einer seiner eleganten, lässigen Bewegungen zog er den dunklen Stoff eng um sich. Er ließ sein Bündel von der Schulter gleiten. Nach kurzem Suchen holte er ein gefaltetes und mit einem Siegel versehenes Pergament heraus und reichte es ihr. »Ihr habt mich zu diesem Lied inspiriert. Deshalb möchte ich Euch diese Verse schenken.«
»Ein Lied über eine schöne Dame, die ihr Leben als Nonne vergeudet?« Ann hob die Augenbrauen.
»Nein, es handelt von etwas anderem.«
Ann zog die alten, schmutzigen Lederhandschuhe aus, die sie bei der Gartenarbeit trug, und nahm das Pergament vorsichtig entgegen. Das Siegel – das sah sie jetzt – zeigte einen Delphin. Ein Tier, das sich, so hatte sie sagen hören, anmutig im Wasser bewegte. Dieses Wappentier passte zu Simon.
»Ich danke Euch.« Ihre Stimme klang förmlicher, als sie beabsichtigt hatte.
»Es war mir ein großes Vergnügen, diese Verse zu schreiben.« Er lachte, doch zu ihrer Überraschung blieben seine Augen ernst. Ich werde ihn vermissen , begriff Ann unvermittelt. »Gott schütze Euch«, sagte sie impulsiv. Wieder fühlte sie sich in seiner Gegenwart seltsam verlegen.
»Nun, es kann nicht schaden, wenn Er ein
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