Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
Auge auf mich hat und mich Adela und Robin finden lässt.« Simon lächelte schwach, nickte ihr noch einmal zu und wandte sich dann zum Gehen.
Wann werde ich ihn wohl wiedersehen ?, schoss es Ann durch den Kopf. Und ob er wohl Adela und Robin mitbringt, wenn er wiederkommt? Sie hoffte es von ganzem Herzen. Sie riss sich von seinem Anblick los, wie er mit seinen leichten, tänzelnden Bewegungen durch den Garten schritt, und lief zur Hütte.
Drinnen zündete sie eine Kerze an, denn das Tageslicht, das durch die offene Tür fiel, war zu schwach, um damit lesen zu können. Dann setzte sie sich auf den Deckenstapel, erbrach das Siegel und löste die Schnur um das Pergament. Hastig überflog sie die Zeilen. Das Lied handelte von einem paradiesischen Garten, der einen einsamen, müden Pilger erquickte. Die Worte und Bilder, die Simon gewählt hatte, waren einfach, aber innig und schön.
Ann spürte, dass sie errötete, als sie das Pergament wieder zusammenfaltete und es in die Tasche ihrer Kutte schob.
*
In der Klosterkirche von Barking lauschte Matilda dem lateinischen Vespergesang der Nonnen. Kerzen erhellten den Chorraum. Das Schiff jenseits des hölzernen Lettners war nur spärlich beleuchtet. An diesem stürmischen Novemberabend hatten sich dort nur wenige Menschen eingefunden, um die Vesper zu besuchen. Erst am Nachmittag war Matilda nach einem anstrengenden wind- und regengepeitschten Ritt in das Kloster zurückgekehrt.
Doch wenn sie in Barking weilte, betrachtete sie es als ihre Pflicht, regelmäßig an dem Chorgebet teilzunehmen. Sie war nun einmal die Äbtissin, auch wenn sie sich diese Stellung wahrhaftig nicht ausgesucht hatte. Also hatte sie beschlossen, das Beste daraus zu machen und den Schwestern, so gut es ging, ein Vorbild zu sein.
Matilda sang die Hymnen nie mit. Diese Distanz zu ihrer Position wahrte sie. Aber sie war musikalisch genug, um die Schönheit der Melodien zu erkennen und zu schätzen. In der Zeit nach Leos Tod hatten sie ihr einen gewissen Frieden geschenkt, und auch an diesem Abend beruhigten sie die Gesänge. Denn die Begegnungen mit Adela und mit William de Thorigny hatten sie mehr aufgewühlt, als sie sich hatte eingestehen wollen.
Nach dem Ende der Gebetszeit versammelten sich die Schwestern hinter ihr. Als Matilda den Gang betrat, der von der Kirche zu den Wohngebäuden führte, eilte die Pförtnerin auf sie zu. »Ehrwürdige Mutter«, sagte sie aufgeregt. »Ihr habt hohen Besuch bekommen. Euer Bruder Richard erwartet Euch in Euren Gemächern.«
Richard hatte es sich vor dem Kamin in ihrem Wohnraum bequem gemacht. Auf dem großen Holztisch am anderen Ende des Zimmers standen die Reste einer Mahlzeit.
»Mein Bruder, was für eine Überraschung, Euch hier zu sehen.« Matilda bot ihm die Wange zum Kuss.
»Ja, dieses Mal besuche ich zur Abwechslung einmal Euch.« Richard musterte sie ein wenig spöttisch. »Es war ein bisschen seltsam, die Pförtnerin von Euch als ›Ehrwürdige Mutter‹ sprechen zu hören. Es ist – fällt mir gerade auf – übrigens das erste Mal, dass ich Euch in Nonnentracht sehe. Wobei Euch das strenge Schwarz gar nicht so schlecht steht.«
»Danke für Euer Kompliment.« Matilda streifte ihren Mantel ab und setzte sich zu ihm. »Aber ich schätze, Ihr seid nicht gekommen, um Höflichkeiten mit mir auszutauschen.« Der Schein des hoch brennenden Feuers im Kamin zuckte über sein Gesicht. Richard hat sich verändert, ging ihr durch den Kopf . Er wirkt zäher und härter. Früher hatte er die Ausstrahlung eines Menschen besessen, der selbstverständlich davon ausging, dass Siege ihm ganz einfach zufallen würden. Jetzt wusste er, dass er sich diese Siege erarbeiten musste.
»Ich habe die Adligen, die sich an meinem Aufstand beteiligten, niedergeworfen oder sie dazu überredet, einen nicht sehr ehrenhaften Frieden mit unserem Vater zu schließen«, beantwortete er ihre Frage. »Deshalb war es an der Zeit, wieder einmal nach England zu reisen und dem König meine Treue zu versichern. Bei dieser Gelegenheit wollte ich es nicht versäumen, auch Euch wiederzusehen.«
Matilda neigte den Kopf. »Ich gratuliere Euch zu Euren Siegen.«
»Ach, spart Euch Euren Sarkasmus.« Richard verzog den Mund. »Ihr wisst sehr gut, dass diese Siege einen äußerst schalen Beigeschmack haben. Schließlich habe ich damit meinen Ruf bei meinen früheren Anhängern gründlich ruiniert.«
»Das seht Ihr zu pessimistisch. Schließlich geht Ihr Männer doch ständig wechselnde
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