Die Rache der Horden
als sich im Empfangszimmer vor den Kamin zu legen und sich einen ganzen Tag lang mit nichts anderem zu beschäftigen als seiner Tochter, mit Kathleen und stiller Zurückgezogenheit.
Er fing an zu zittern.
»Mein Junge, gehen wir lieber hinein; der Zug ist bald da.«
Andrew sah Hans an. Es lag einige Zeit zurück, dass ihn dieser zuletzt »mein Junge« genannt hatte. Komisch, aber das war ihm beinahe fremd geworden, obwohl Hans immer noch der Mentor war, die Vaterfigur der ersten Zeit. Mit Hans an seiner Seite hatte sich Andrew der erschlagenden Verantwortung gestellt, erst ein Regiment zu führen und dann einen ganzen Krieg als Oberbefehlshaber. Wie fremd ihm der junge Geschichtslehrer geworden war, der einst mit den großen Augen eines Knaben aufbrach, um sich einen Krieg anzusehen! Heute konnte er sich praktisch nicht mehr als irgendjemandes Sohn fühlen.
Hans lächelte traurig.
»Wissen Sie, ich hatte nie einen eigenen Sohn. Zu lange mit der Armee verheiratet, wissen Sie?«
Andrew nickte, sagte aber nichts.
»Ich werde alt, Andrew.«
»Das geht uns allen so.«
»Nein, es geht tiefer. Ich spreche nicht von Rheuma, den Augen, die nicht mehr so scharf sehen, dem lahmen Bein. Ich bin einfach müde. Jetzt weiß ich, was die Leute mit ›alter Soldat‹ meinen.«
Er zögerte, blickte in den wirbelnden Nebel.
»Ich habe ein mieses Gefühl, was das angeht, mein Junge«, flüsterte er.
Er blickte zu Andrew auf und schien erschrocken vom eigenen Eingeständnis.
»Es ist einfach so: egal wie sehr wir uns bemühen, sie greifen einfach immer weiter an. Jedes Mal zeigen sie sich dabei starker und cleverer – als würde es niemals enden.«
Andrew empfand einen inneren Schauder, der über die Kälte hinausging und auch über die vom Typhus herrührende Schwäche. Hans war von jeher der Fels, auf den er seine eigene Kraft als Kommandeur gründete. Und jetzt verwitterte dieser Fels.
Hans wurde still, als wäre er verlegen.
»Reden Sie weiter«, bat Andrew leise. »Ich muss das hören.«
»Ich habe seit Monaten kein Wort mehr darüber verloren, aber jetzt halte ich es für nötig, ehe die anderen zur Abschlusskonferenz hinzukommen. Sie wissen, dass ich nicht viel von dieser Idee einer Potomac-Linie gehalten habe.«
»Es tut mir Leid, dass wir unterschiedlicher Meinung waren«, sagte Andrew.
Die Debatte war zuzeiten hitzig gewesen vor einem Jahr, als die Planungen für diesen Krieg begannen. Das erste Ziel bestand darin, die Eisenbahnlinie bis nach Roum zu bauen – in diesem Punkt waren sie sich vollkommen einig. Ohne die Verbindung nach Roum bestand keinerlei Chance, den Horden standzuhalten. Hans wollte jedoch versuchen, den Neiper zu halten, auch wenn das Gelände nördlich der ersten Furt ein Albtraum für die war, die die Bahnlinie für den Nachschub dorthin zu bauen haben würden. Nächtelang hatten sie über den groben Karten gebrütet, die von den Vermessungsmannschaften angefertigt worden waren. Andrews Einwand lautete, dass keine Rückzugslinie existierte, falls der Neiper verloren ging. Die Potomac-Front liege in der Steppe und biete der Kavallerie der Horden Platz, so lautete Hans’ Argument; diese Front war mit über hundertfünfzig Kilometern viel zu lang, um sie mit ausreichenden Kräften zu besetzen. Letzten Endes musste Andrew einfach den Befehl erteilen. Hans fluchte damals kräftig, salutierte dann jedoch und stürzte sich in die Arbeit. Heute kam es zum ersten Mal seit Monaten wieder zu dieser Debatte.
»Wir können uns nicht erlauben, auch nur eine einzige Schlacht zu verlieren, während die Horden selbst im Fall ihrer Niederlage irgendwann wieder angreifen«, erklärte Hans schließlich und sprach jedes Wort bedächtig aus, als trüge es tatsächlich Gewicht und Gestalt.
»Wir haben die Tugaren besiegt, und es hat beinahe unsere eigene Vernichtung bedeutet. Dann schicken sie die Carthas, und wir siegen erneut um Haaresbreite. Jetzt stehen wir ihnen wiederum gegenüber. Wie viele, hat Juri gesagt? Vierzig Umen? Vierhunderttausend Krieger, bewaffnet mit über vierhundert Feldgeschützen und vielleicht zwanzigtausend Musketen. Sie können fliegen, während uns bislang nicht gelungen ist, auch nur eine einzige motorisierte Flugmaschine vom Boden hochzubekommen.
Beim ersten Mal standen wir Bögen und Lanzen gegenüber, und beinahe hätten sie uns schon damit gekriegt; beim zweiten Mal waren es Panzerschiffe, und jetzt, bei fast der dreifachen Mannschaftsstärke der Tugaren, ist es eine
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