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Die Rache der Horden

Die Rache der Horden

Titel: Die Rache der Horden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William R. Forstchen
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langen Winter und dem Frühlingsanfang waren die Merkileichen jetzt nur noch von Raben zerpickte Überreste aus Sehnen und Knochen, obwohl nach wie vor ein Hauch von Verwesungsgestank von ihnen ausging. Einer der Schädel wies die Einschusslöcher der sechs Kugeln auf, die er, Vincent, hineingefeuert hatte. Marcus hatte die Merki als Ermahnung dort hängen lassen, obwohl Vincent tief im Herzen fand, dass die aufklaffenden weißen Kiefer immer noch die Echos spöttischer Worte ausstrahlten und ihn an das erinnerten, was aus ihm selbst geworden war.
    »Na, da will ich aber verdammt sein!«, fauchte der Sergeant. »Ich habe sie noch lebendig gesehen …« Er fiel allmählich in die Russprache zurück. »… wie sie zu Tausenden auf uns losstürmten und ihre Kriegsschreie ausstießen.«
    Er legte eine Pause ein und deutete mit dramatischer Geste auf die hässliche Narbe, die seine Züge zu einer konstanten Grimasse verzerrte, in der der Mund viel zu weit offen klaffte und ein halbes Dutzend Zähne fehlten.
    »Ich gehörte zum verdammten 5. Suzdalischen und hab das hier in der Schlacht auf dem Pass erwischt, meiner Treu, verdammt will ich sein, und daher weiß ich, wovon ich rede!«
    Er musterte die ganze Kompanie finster.
    »Sie werden auf euch losgehen wie eine Wand, wie ein Berg, unaufhaltsam – außer mit dem hier!«, schrie er und reckte das Bajonett hoch.
    Die Rekruten verstanden kein Wort, wagten aber nicht, ihn daraufhinzuweisen.
    »Wenn ihr das Bajonett zu tief ansetzt«, schrie er weiter und stieß mit der Waffe nach einem Rekruten, der zurücksprang, »jagt ihr es glatt unter seinen Eiern durch!
    Vergesst nicht, die sind zweieinhalb Meter groß oder noch größer. Achtet auf die Abwärtsbahn ihrer Schwerter. Sie sind jedoch ein bisschen langsamer als wir, also wartet auf diesen Hieb. Weicht ihm aus, und ehe er sich wieder sammelt, geht geduckt auf ihn los und stoßt dann nach oben, richtig weit nach oben. Stoßt hoch …« Er wechselte zurück in schwerfälliges Latein. »… stoßt hoch in den Bauch, der euch mitten ins Gesicht blickt!
    Dann dreht ihr es …« Er rotierte das Bajonett. »… und zieht es heraus.« Er riss die Muskete zurück.
    »Jetzt noch einmal!«
    Er warf die Muskete wieder dem Rekruten zu, der gedemütigt dastand, die Wangen gerötet, als könnte er jederzeit in Tränen ausbrechen.
    »Perm und Kesus mögen ihm beistehen«, sagte Dimitri leise.
    »Die Schwachen werden sterben«, entgegnete Vincent kalt. »Ich hoffe nur, dass sie uns nicht alle dabei mitreißen.«
    Etwas erschrocken blickte Dimitri Vincent an, als dieser sein Pferd zu einem leichten Handgalopp trieb und den Ritt über den Drillplatz fortsetzte. Er nahm Kurs auf eine komplette Brigade, die zur Übung angetreten war. Vincent saß aufrecht im Sattel. Er hatte schließlich gelernt, wie er auf dem riesigen Pferd gut sitzen konnte, obwohl er darauf von hinten fast wie ein Kind wirkte: schmale Schultern, einsfünfundsechzig groß und nicht viel schwerer als hundert Pfund.
    Es war ein schöner, kühler Morgen, und der Tag versprach am Nachmittag noch warm zu werden. Ein leichter Wind erhob sich gerade aus dem Westen und wehte aus der freien Steppe heran. Ein Pfeifton durchschnitt die Luft, und Vincent drehte sich im Sattel und blickte über die Schulter zu einem weiteren Zug hinüber, der gerade von dem Rangiergleis unmittelbar südlich der Stadtmauer fuhr.
    Beim Anblick von Vincents abgespannten Zügen wurde Dimitri klar, dass der zweiundzwanzigjährige General nichts Kindliches mehr an sich hatte, oder falls doch, dann tief verborgen. Das früher mal sanfte Gesicht wirkte kalt, der Blick hart, die graublauen Augen distanziert, wie aus Eis gemeißelt. Er hatte sich einen dünnen, schmalen Bart wachsen lassen (eher ein Spitzbart). Er trug nicht mehr das alte Standardkäppi des 35., sondern hatte es gegen etwas ausgetauscht, was er einen »Hardee« nannte: schwarz, mit breiter Krempe und hoher Krone. Dieser Hut warf Schatten übers Gesicht und verlieh Vincent eine Aura der Distanz. Im Zentrum der Hutkrone waren zwei goldene Sterne montiert, passend zu denen auf den Schulterstücken der dunkelblauen Offiziersjacke mit ihrer Doppelreihe goldener Knöpfe. Nachdem er das Kommando über das 5. Suzdalische übernommen gehabt hatte, war er in das lose sitzende, weiße Hochkragenhemd und die Segeltuchhose der Rus-Infanterie gewechselt, aber das war nun vorbei. Er war General von zwei in Ausbildung befindlichen Korps und zeigte den Blick

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